Neun Monate nach der letzten Ausbruchsserie sind in Deutschland erneut Vogelgrippeviren des Typs H5N1-Asia entdeckt worden. Nicht etwa in sterbenskrankem Geflügel, wie man bei einer tödlichen Tierseuche vermuten würde, sondern in völlig gesunden Hausenten in einem Geflügelhof in Sachsen. Überlebt hat das gesunde Federvieh die Infektion dennoch nicht: Nach amtlicher Bestätigung des positiven Virennachweises wurden alle Vögel des Bestands auf Anordnung der Behörden in der Nacht zum Freitag vergast.

Dem „Wissenschaftsforum Aviäre Influenza“ (WAI) vorliegenden Informationen zufolge beschränkte sich die Probenahme bei den untersuchten Tieren auf mittels Tupfer durchgeführte Abstriche. Blutproben, welche durch einen Antikörpertest wichtige epidemiologische Erkenntnisse hätten liefern können – Status der Infektion, Anhaltspunkte bezüglich deren Eintritt etc. – wurden von den Tieren nicht genommen. Auch wurden keine der infizierten Tiere zwecks späterer Untersuchungen sichergestellt.

Als kleine Katastrophe stellt sich dieser Ausbruch nicht nur für den betroffenen Geflügelhof, sondern ebenfalls für die exportorientierte Geflügelindustrie dar: Fälle von Vogelgrippe haben internationale Handelsbeschränkungen zur Folge, die eine weitere Ausbreitung der Viren verhindern sollen. Süd-Korea erklärte bereits, jeden Geflügelimport aus Deutschland zu stoppen. Nicht zuletzt dadurch wird die Eile der Behörden bei der Beseitigung der infizierten Vögel erklärlich, denn: Je früher der „Ausbruch“ amtlich für beendet erklärt wird, desto eher läuft das Exportgeschäft wieder an.

Experten des „Wissenschaftsforums Aviäre Influenza“ halten es jedoch nicht für Zufall, dass die Vogelgrippe erneut Deutschland getroffen hat. Wie sich bereits 2007 zeigte, sind die Routinekontrollen der Behörden unzureichend, um die Zirkulation der Viren zuverlässig und rechtzeitig zu erkennen. Auch im aktuellen Fall war es nur dem Zufall zu verdanken, dass sich in der untersuchten Stichprobe von 60 Vögeln (4 Prozent des Bestands, wobei im Rahmen der Routinekontrolle ausschließlich Gänse und Enten beprobt wurden) eine einzige infizierte Ente fand. Erst unmittelbar vor der Tötung der Tiere wurden weitere Proben bei den Gänsen und enten genommen.

Seit langem ist bekannt, dass H5N1-Viren in Geflügelbeständen unauffällig wochenlang zirkulieren können, ohne dass es zum Ausbruch der Seuche kommt. So wurden in Bayern im August 2007 Vogelgrippeviren in Wochen alten Proben geschlachteter Enten entdeckt. Infiziertes Geflügelfleisch gelangte dabei unkontrolliert in den Handel und verursachte im Dezember drei Vogelgrippeausbrüche in Brandenburg. Die UN-Organisation für Welternährung FAO warnte mit Hinweis auf diesen Fall ausdrücklich vor dieser Gefahr durch unerkannt infizierte Hausenten.

WAI beklagt, dass in Deutschland bis heute keine Lehren daraus gezogen wurden. Statt die bekannten Lücken in der Überwachung des Geflügelhandels zu schließen, greift man auf das bewährte Alibi zurück: „Virenverbreitende Wildvögel“ sollen stattdessen wieder einmal zugeschlagen haben. Fachleute wissen seit langem, dass diese Hypothese falsch ist. Jahrelange, systematische Untersuchungen von Abertausenden Wildvögeln haben gezeigt, dass es keine Zirkulation der Viren unter Wildvögeln gibt. Wildvögel werden nur gelegentlich zu Opfern, wenn z.B. virenverseuchter Geflügelmist als Naturdünger in die Umwelt ausgebracht wird.

Mit dem Ziel,
– weiteren Schaden von der Geflügelwirtschaft abzuwenden,
– weitere Massentötungen von Geflügel zu vermeiden, die für alle Beteiligten quälend sind,
– und nicht zuletzt zum Schutz von Wildvögeln,
hält das WAI eine kritische Neubewertung der „Vogelgrippe“ und der Maßnahmen zur Eindämmung für dringend geboten.

Dazu gehört vordringlich:

1. Kontrollen im Geflügelhandel: Eine Intensivierung und Optimierung der Suche nach Geflügelpest-Viren im Geflügelhandel ist Grundvoraussetzung für die Eindämmung. Die bisherigen Routinekontrollen anhand von relativ kleinen Stichproben sind aufwändig aber unzuverlässig. Intensivierung bedeutet nicht notwendigerweise eine größere Zahl von Analysen, aber eine gezieltere Suche nach Viren oder Antikörpern. Insbesondere sollte sichergestellt werden, dass Geflügelprodukte nicht länger unkontrolliert in den Handel gelangen. Dies gilt gleichermaßen für Geflügelmist, der als Naturdünger eingesetzt wird.

2. Maßnahmen bei Ausbrüchen: Die rasche Eindämmung von Ausbrüchen ist zweifellos wichtig. Langfristig wichtiger ist es jedoch, das Virenreservoir zu entdecken, um eine anhaltende Zirkulation stoppen zu können. Entsprechende Untersuchungen sollten zeitgleich mit den Maßnahmen zur Beendigung von Ausbrüchen beginnen, auch um die nötigen Proben sichern zu können.

3. Quarantäne statt „vorsorglichen Tötungen“: Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass H5N1-Asia-Viren unter Feldbedingungen keinesfalls „hochansteckend“ sind. Dies sollte berücksichtigt werden, bevor „vorsorgliche Tötungen“ von Geflügelbeständen angeordnet werden, bei denen kein konkreter Infektionsverdacht besteht. In solchen Fällen ist Quarantäne die einzig angemessene Reaktion.

4. Information der Öffentlichkeit: Die Öffentlichkeit hat ein legitimes Interesse an Informationen über die Hintergründe von Ausbrüchen. Die bisherige Informationspolitik der Behörden war extrem restriktiv und oft irreführend. Das WAI erwartet, dass die epidemiologischen Untersuchungen bei Ausbrüchen dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; und dass alle relevanten Daten für die interessierte Fachöffentlichkeit zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Entsprechende Foren im Internet ermöglichen eine ausführliche Information fast in Echtzeit. Diese Chance sollte genutzt werden.

Quelle: V.d.i.S.d.P.: Werner Hupperich / WAI – Wissenschaftsforum Aviäre Influenza

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