Kinder- und Jugendärzte machen mobil: Wie in Unternehmen und Betrieben, so müssten auch in Schulen umgehend und flächendeckend betriebsmedizinische Angebote eingeführt werden. Gerade im zunehmend ganztägigen Arbeits- und Lebensraum Schule sei es heute am besten möglich, der steigenden Anzahl auffälliger, lernschwacher oder gesundheitlich beeinträchtigter Kinder und Jugendliche systematisch und noch frühzeitig genug auf die Spur zu kommen.

Doch Schulärzte sind Mangelware und Schulsprechstunden von Ärzten immer noch die große Ausnahme, bemängelt Dr. Ulrike Horacek, Leiterin des kinder- und Jugendärztlichen Dienstes im Gesundheitsamt Recklinghausen und Vorstandsmitglied der Deutschern Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Am Beispiel der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) macht die Kinder- und Jugendärztin das Dilemma deutlich: So ist es zum Beispiel für den Umgang mit dem Störungsbild ADHS außerordentlich wichtig, speziell bei den Lehrern ein Grundverständnis für die Erkrankung zu entwickeln. Dazu bedarf es aber ärztlicher Unterstützung und Beratung, damit Pädagogen wissen, dass das provozierend wirkende und störende Verhalten vieler junger Menschen mit ADHS auf die Krankheit zurückzuführen ist. Nur aus dieser Erkenntnis heraus lassen sich dann gemeinsam – dem Störungsbild angepasste – Lernbedingungen für Betroffene entwickeln. Wichtig ist dabei, klar strukturierte und überschaubare Aufgaben im Unterricht zu erhalten. So sollte zum Beispiel in der Grundschule speziell für ADHS-betroffene Schüler ein Aufgabenblatt so gefaltet werden, dass nur die gerade zu bearbeitende Aufgabe zu lesen ist.

Doch auch Schülerinnen und Schüler mit chronischen Krankheiten wie Asthma, Allergien oder Diabetes sowie mit psychosomatischen Störungen oder psychischen Auffälligkeiten bedürfen heute besonderer Fürsorge, wie die Erfahrungen mit Schulsprechstunden des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) Münster zeigen. Dort meiden 70 Prozent aller Haupt- und Realschüler jeglichen ärztlichen Kontakt aus Scham und Sorge vor dem Bekanntwerden ihrer gesundheitlichen Probleme – auch vor den eigenen Eltern.

Genau daran hat nun das Münsteraner Modellprojekt „Ärztliche Sprechstunden im Lebensraum Schule“ angesetzt. So sind insgesamt 6.165 Jugendliche an sechs Haupt- und vier Realschulen von Fachärzten des KJGD zwei Jahre lang in der Schule untersucht worden. Dabei wurden die Eltern nicht einbezogen und personenbezogene Daten nicht weitergeleitet. Der Erfolg dieses niedrigschwelligen Angebotes stellte sich schnell ein. 23, 5 Prozent der untersuchten 6.165 Schüler waren bereit gewesen, sich auf Empfehlung der Schulärzte zum niedergelassenen Arzt überweisen zu lassen. Ohne die Schulsprechstunde hätten diese 1.451 Schüler den fälligen Schritt hin zu einem Arzt, zu einem Psychologen oder hin zur Jugendhilfe kaum unternommen.

Ulrike Horacek und die DGSPJ halten es nun für unerlässlich, aus diesen Erfahrungen heraus diese Handlungsschritte zügig politisch umzusetzen:

– Einführung von Schul- und Betriebsärzten und Schulsprechstunden
an allen Schulen – zumindest ab der Sekundarstufe. Bewährt haben
sich dabei solche Modellansätze wie über das Gesundheitsamt
Münster oder auch das Projekt „Medi-Päds“ in Westfalen-Lippe.
Dort versuchen Arzt-Lehrer-Teams Gesundheitsbewusstsein zu einem
„Leitbild“ für die Schule zu machen.

– Aufhebung der Vollzugsdefizite, die die meisten
Gesundheitsdienstgesetze der Länder hinterlassen. Ein
systematischer und ganzheitlicher Ansatz fehlt vor allem
deshalb, weil die Ländergesetze unterschiedlich gestrickt sind
und auch die Schul- und Bildungsträger unterschiedliche
Vorstellungen haben. Diese müssen dringend angeglichen werden.

– Erweiterung des Mandates des häufig nur bei der Einschulung
tätigen „Schularztes“ hin zu einem dauerhaft vorhandenen
„Betriebsarzt“ an Schulen. Dazu gehört unter anderem dann
auch die Beratung über Hygiene und Krankheiten, das Einfordern
von Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung sowie
die Unfall- und die Suchtprävention.

Um all dies auch umzusetzen, müsse der „schulärztliche Dienst“ dann aber in einen strukturell und finanziell tragfähigen „schulbetriebsärtzlichen Dienst“ dauerhaft umgewandelt werden, fordert Horacek abschließend. Dazu seien aber zielgerichtete Investitionen erforderlich, die von allen Beteiligten nun vehement eingefordert werden müssten.

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