Streß mit Medikamenten bekämpfen – die Forschung arbeitet daran. Eine Arbeitsgruppe um den Göttinger Neurobiologen Eberhard Fuchs hat in Tierversuchen nachgewiesen, dass bestimmte Psychodrogen körperliche und psychische Auswirkungen von Stress bekämpfen. Aus diesen Forschungsergebnissen ergeben sich nach Ansicht der Forscher vielversprechende Ansätze für die Entwicklung neuer antidepressiver Medikamente.

Derzeit erforschen verschiedene europäische Pharmaunternehmen Arzneimittel, die das Gehirn in Richtung Stressminderung beeinflussen. Mit starkem Bedenken verfolgt Doris Kirch diese Entwicklung. „Hier wird an den Symptomen herumgedocktert, anstatt sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen und dort Abhilfe zu schaffen“, kritisiert sie. Die 48jährige ist Leiterin des Deutschen Fachzentrums für Stressbewältigung in Oldenburg. Als Spezialistin weiß sie, wovon sie spricht: Täglich suchen Menschen das Fachzentrum auf, denen der Stress über den Kopf wächst. „Das sind in der Regel keine Personen, die einer vorübergehenden besonders belastenden Situation ausgesetzt sind“, so Kirch. Es ist der ganz „normale“ Alltag, der selbst für die Leistungsfähigsten immer schwerer zu bewältigen sei. In der Beratung gehe es deshalb zunächst einmal darum, den Betroffenen klar zu machen, dass nicht sie selbst das Problem seien, sondern die stetig zunehmende Geschwindigkeit und Komplexität unseres Lebens im 21. Jahrhundert.

Untersuchungen von Krankenkassen zeigen, dass die Betroffenen immer jünger werden. Selbst Kindern im Vorschulalter bekommen zunehmend Psychopharmaka verschrieben. „Wir müssen andere Wege gehen, wenn wir nicht ein Leben lang Tabletten schlucken wollen“, sagt Kirch und weist darauf hin, dass der meiste Stress, den wir haben, hausgemacht ist. Sie weiß, dass das provokant klingt, hält aber an ihrer Behauptung fest.

Als Menschen verfügen wir über einen sogenannten fight-or-flight-Mechanismus, weiß die Streß-Fachfrau. Dieser Mechanismus versetzte unsere Ahnen bei Gefahr in die Lage, sich zu wehren oder zu fliehen, um das eigene Leben zu schützen. Zu Anbeginn der Menschheit gab es etliche Gefahren, die das Leben bedrohten und vor denen es sich zu schützen galt: Wilde Tiere, feindliche Stämme und Unwetter. Diese Gefahren bestehen für moderne Menschen in Industriestaaten nicht mehr. Unser Leben ist selten wirklich in Gefahr. Der Kampf- oder Flucht-Mechanismus hingegen ist uns immer noch zu eigen. Doris Kirch dazu: „Wir fühlen uns heute durch andere Dinge bedroht, zum Beispiel durch zunehmende Behördenrepression, Arbeitslosigkeit oder Mobbing.“ Der Adrenalinspiegel steigt wie zu archaischen Zeiten und läutet die Generalmobilmachung des Körpers ein. Anders als in grauer Vorzeit haben wir aber weder die Möglichkeit zu flüchten, also uns der Situation zu entziehen, oder zu kämpfen, dem Aggressor eins auf die Nase zu geben. Wir bleiben sozusagen auf unserem Adrenalin sitzen. Andauernde Adrenalinschübe führen zu einer ganzen Reihe körperlicher und psychischer Symptome, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Muskelverspannungen, Depressionen oder Schlafstörungen. Im schlimmsten Falle kann Stress zum Tod führen. In Japan gibt es sogar einen Begriff dafür: Karoshi nennen die Japaner den Tod durch Überarbeitung.

Doris Kirch hat in jahrelanger Beobachtung die Erfahrung gemacht, dass Psychopharmaka keine Lösung für Stress sind. Bestenfalls können sie vorübergehende Erleichterung verschaffen, aber nur so lange, bis das Stressgeschehen analysiert und entsprechende Veränderungen im Leben vorgenommen wurden. Nach Ansicht der Expertin ist es ein Mix, der hilft, die Balance wieder herzustellen. In Anlehnung an die Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umfasst dieser Mix die Komponenten des körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Das bedeutet, mäßigen Sport treiben, sich gesund ernähren, Genussgifte reduzieren, Entspannungstechniken und Meditation erlernen und sich viel Zeit mit Familie und Freunden gönnen.

Der Hauptfaktor in der Stressbewältigung, betont Kirch, ist jedoch die Art und Weise, wie wir mit dem Leben umgehen. „Das Leben kann ein Jammertal werden, wenn man sein Glas grundsätzlich als halbleer und nicht als halbvoll betrachtet.“ Eine positive Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen und eine gesunde Portion Humor können manches Medikament überflüssig machen. „Unser Leben ist voll von Abhängigkeiten. Wir sollten ihm mit Pillen nicht eine weitere hinzufügen“, rät Stress-Coach Doris Kirch.

Weitere Informationen: www.dfme.de

One Comment

  • Judit

    Leiber alles Mögliche gegen Stress zu versuchen, als mit einer Pille alles abstumpfen.

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