Jährlich kommen in Deutschland über 50.000 Kinder zu früh, also vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Trotz der schwerwiegenden Konsequenzen einer Frühgeburt erfolgt derzeit die Behandlung von Schwangeren mit vorzeitigen Wehen in den meisten Fällen nicht mit den modernsten Mitteln. Darauf wies heute im Rahmen des 9. Weltkongresses für Perinatalmedizin die neugegründete Initiative „Jeder Tag zählt“ hin. Die Folgen sind höhere gesundheitliche Risiken für die betroffenen Mütter und Kinder sowie erhebliche mittel- und langfristige Folgekosten. Im Rahmen der Initiative „Jeder Tag zählt“ fordern Geburtsmediziner, Hebammen und Betroffene deshalb eine konsequente Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Behandlung von Frühgeburten und den Zugang zu modernen Therapieoptionen für alle betroffenen Schwangeren.

Je früher ein Kind geboren wird, desto wahrscheinlicher und schwerwiegender sind gesundheitliche Probleme, an denen die Betroffenen oft ein Leben lang leiden. Bei etwa 50 Prozent der Frühgeburten sind vorzeitige, zervixwirksame Wehen der Auslöser. In diesen Fällen ist es durch eine Tokolyse-Behandlung – also die Gabe eines wehenhemmenden Mittels – möglich, die Schwangerschaft zu verlängern. Oft kommen aus Kostengründen jedoch Mittel zum Einsatz, die für die Behandlung vorzeitiger Wehen nicht zugelassen sind („Off Lable Use“) oder so starke Nebenwirkungen für Mutter und Kind mit sich bringen können, dass die Therapie abgebrochen werden muss. So gehen wertvolle Tage für die Reifung des Kindes und die Verbesserungen seiner Lebens- und Überlebenschancen verloren.

„Eine Frühgeburt stellt für die betroffenen Kinder und Familien nicht nur ein großes medizinisches Problem und eine emotionale Belastung dar, sondern ist auch für das gesamte Gesundheitssystem und die Gesellschaft eine Herausforderung“, betont Silke Mader, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von EFCNI (European Foundation for the Care of Newborn Infants). „In Zeiten des demografischen Wandels und der zunehmenden Kinderlosigkeit muss die Gesellschaft alle Anstrengungen unternehmen, um Kindern einen bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen. Gerade die medizinisch optimale Betreuung muss schon vor der Geburt die höchste Priorität haben, denn diese kann die Lebensqualität des Kindes entscheidend beeinflussen und sogar das Überleben dieses Kindes selbst sichern. Das Motto der Initiative ‚Jeder Tag zählt‘ ist somit wörtlich zu nehmen. Dem sollte nicht ein kurzfristiges und eindimensionales ‚Kästchendenken‘ entgegenstehen!“

„Mit jedem gewonnenen Tag der Schwangerschaftsverlängerung, insbesondere vor der 28. Schwangerschaftswoche, steigt nicht nur die Überlebenschance für das Kind“, erläutert Univ.-Prof. Dr. med. Werner H. Rath von der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Aachen. „Je länger die Schwangerschaft dauert, desto geringer ist für die Kinder auch das Risiko mittel- und langfristiger Folgeerkrankungen.“ Bei der Wahl des wehenhemmenden Mittels müsse der behandelnde Arzt aus medizinischer Sicht vor allem die Wirksamkeit des Mittels und die möglichen Nebenwirkungen für Mutter und Kind abwägen. Rath kritisiert, dass im Klinikalltag jedoch oftmals Budgetzwänge und die Richtlinien des DRG-Systems den Ausschlag für die eine oder andere Behandlungsmethode gäben. „Hier wird einfach zu kurzfristig gedacht. So steht beispielsweise seit dem Jahr 2000 mit Atosiban ein Wirkstoff zur Verfügung, mit dem zervixwirksame Wehen effektiv und besonders nebenwirkungsarm gehemmt werden könnten. Zum Einsatz kommen jedoch zumeist Medikamente, die kurzfristig kostengünstiger erscheinen, aber Mutter und Kind nachweislich mehr belasten. Diese medizinischen Nachteile und die möglichen langfristigen Folgekosten von Nebenwirkungen bleiben jedoch unberücksichtigt.“

„In der Öffentlichkeit werden die Kosten für die Behandlung von Schwangeren mit vorzeitigen Wehen und die Versorgung von frühgeborenen Kindern als enorm hoch diskutiert. Objektiv betrachtet liegt die Sache aber ganz anders: Die Geburtsmedizin als ‚Medizin am Beginn des Lebens‘ gibt – vergleicht man sie mit anderen Bereichen der Medizin – unverantwortlich wenig Geld aus. Um den Start ins Leben für alle Kinder so gut wie möglich zu gestalten, müssen die Anforderungen der Geburtsmedizin in unserem Gesundheitssystem anerkannt und die Weiterentwicklung des Fachbereichs konsequent gefördert werden“, betont Univ.-Prof. Dr. Holger Stepan, Leiter der Abteilung für Geburtsmedizin an der Universitätsklinik Leipzig.

Die Initiative „Jeder Tag zählt“ wurde von dem Unternehmen Ferring Arzneimittel GmbH finanziell unterstützt und mit EFCNI ins Leben gerufen. Unterstützt wird die Initiative durch Geburtsmediziner, Hebammen und Betroffene. Ziel der Initiative ist es, bei vorzeitigen zervixwirksamen Wehen allen Frauen den Zugang zu einer dem neusten Kenntnisstand entsprechenden Behandlung zu ermöglichen. Erste notwendige Schritte dazu sind die Etablierung einer langfristigen und ganzheitlichen Kostenbetrachtung von Tokolyse-Behandlungen durch die gesetzlichen Krankenkassen und eine Anpassung der derzeitigen Vergütungsrichtlinien an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Darüber hinaus soll durch die Initiative in der Öffentlichkeit das Verständnis für die medizinischen Herausforderungen der Frühgeburt und für innovative Behandlungsmöglichkeiten der Perinatalmedizin gestärkt werden.

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