Bei immer mehr Menschen werden psychische Störungen diagnostiziert. Depressionen, Angst- und Belastungsstörungen haben immer größeren Anteil an Krankschreibungen und sind Hauptursache von Frühverrentungen in Deutschland. Das Verordnungsvolumen von Psychopharmaka steigt kontinuierlich, Psychotherapie gehört zu den umsatzstärksten ärztlichen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Patienten, die therapeutische Unterstützung suchen, müssen meist lange Wartezeiten auf sich nehmen, bevor sie Hilfe finden. Über die Behandlungsqualität der psychotherapeutischen Regelversorgung ist bisher jedoch wenig bekannt. In einer Langzeitstudie hat die Techniker Krankenkasse (TK) zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Mannheim und Trier die Effektivität ambulanter Psychotherapie und Möglichkeiten regelmäßiger Qualitätsmessungen untersucht. Qualitätsmessungen sind möglich, sinnvoll und von den Patienten geschätzt. Jeder in die Psychotherapie investierte Euro bringt zwei bis vier Euro an gesamtgesellschaftlichem Nutzen. Der Zugang zur Psychotherapie ist jedoch zu bürokratisch organisiert.

Dauert eine Psychotherapie länger als 25 Stunden, müssen die Krankenkassen bevor sie die Kosten übernehmen dürfen in einem vor über vier Jahrzehnten eingeführten Gutachterverfahren prüfen lassen, ob die Weiterbehandlung medizinisch notwendig ist. Dr. Thomas Ruprecht, der das Modellvorhaben für die TK betreut hat: „Dies ist für alle Beteiligten, Therapeuten, Patienten und Krankenkassen mit hohem bürokratischem Aufwand und Kosten verbunden. Unsere Studie zeigt jedoch, dass die Therapiequalität ohne Gutachten nicht schlechter ist und auch nicht mehr Therapiestunden abgerechnet werden.“

Die TK spricht sich deshalb dafür aus, künftig auf das aufwändige Gutachterverfahren zu verzichten. „So könnten Therapeuten sich künftig in der Zeit ihren Patienten widmen, die sie jetzt mit Dokumentation verbringen müssen, und auch die Krankenkassen könnten das für die Gutachten aufgewendete Budget in eine bessere medizinische Versorgung ihrer Versicherten und eine wissenschaftlich fundierte Qualitätsmessung investieren“, so der TK-Experte.

An dem Modellvorhaben der TK nahmen von 2005 bis 2009 knapp 400 Therapeuten sowie 1.708 Patienten in den Regionen Westfalen-Lippe, Hessen und Südbaden teil. Die Hälfte der teilnehmenden Therapeuten betreute ihre Patienten nach Einsatz des herkömmlichen Gutachterverfahrens, die andere Hälfte durfte darauf verzichten. Zu verschiedenen Zeitpunkten vor, während, am Ende und ein Jahr nach der Behandlung wurden Patienten und Therapeuten um ihre Einschätzung der Ergebnisqualität gebeten. Trotz der unterschiedlichen Bewilligungspraxis in beiden Gruppen konnten jedoch keine signifikanten Qualitätsunterschiede festgestellt werden. Zudem zeigte sich, dass in der Interventionsgruppe ohne Gutachterverfahren im Durchschnitt kaum mehr Therapiesitzungen abgerechnet wurden als in der Kontrollgruppe. Allerdings variierte die Zahl der Sitzungen in der ersten Gruppe deutlicher, das heißt Therapien wurden bei Erfolg früher beendet oder im Gegenzug bei weiterem Behandlungsbedarf verlängert. „Im Mittel gab es zwar keine spürbaren Unterschiede, es zeigt sich jedoch, dass die Therapeuten den Therapiebedarf der Patienten eigenverantwortlich sehr gut steuern können und die Patienten mit einem Qualitätsmonitoring auch sehr zufrieden sind“, so Ruprecht.

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