Liegen an den Universitäten die Nerven blank? Das könnte man zumindest bei näherer Betrachtung der Arzneimittelverordnungen für Studierende in Deutschland vermuten. Nach Angaben des aktuellen Gesundheitsreports der Techniker Krankenkasse (TK) entfällt der größte Anteil der an Hochschüler verschriebenen Medikamente auf Präparate zur Behandlung des Nervensystems. Allein in den letzten vier Jahren verzeichnete die TK in dieser Arzneimittelgruppe einen Anstieg des Volumens von 54 Prozent.

Statistisch gesehen erhielt jeder Studierende 2010 insgesamt für 65 Tage Medikamente. Damit liegt das Verordnungsvolumen zwar unter dem ihrer erwerbstätigen Altersgenossen mit 72 Tagesdosen. Auffällig ist jedoch, dass Psychopharmaka und Co. bei den Hochschülern über ein Fünftel aller verschriebenen Medikamente ausmachen. Bei den gleichaltrigen Beschäftigten entfallen „nur“ knapp 14 Prozent der Arzneien auf diese Gruppe, die aber auch hier inzwischen den größten Anteil ausmacht.

„Wir haben hier zum zweiten Mal nach 2008 die Rezepte der bei uns versicherten Studierenden ausgewertet und betrachten mit Sorge das auffällig hohe Volumen bei den Psychopharmaka“, erläuterte Professor Dr. Norbert Klusen, Vorsitzender des TK-Vorstandes.

Nicht nur das Arzneimittelvolumen, sondern auch der Anteil der medikamentös behandelten Studierenden ist gestiegen. „Eine erhebliche Zunahme gibt es hier insbesondere bei Medikamenten zur Behandlung von Depressionen. Der mit Antidepressiva behandelte Anteil der Studierenden stieg seit 2006 um mehr als 40 Prozent“, erklärt Dr. Thomas Grobe vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung in Hannover (ISEG), der die Daten ausgewertet hat.

Neben den Arzneimitteldaten hat die TK auch die Diagnosedaten von 135.000 bei der TK eigenständig versicherten Studierenden ausgewertet. Sie zeigen, dass Studierende zwar deutlich mehr Psychopharmaka verordnet bekommen als ihre erwerbstätigen Altersgenossen, in beiden Gruppen wurden aber insgesamt etwa gleich häufig psychische Störungen diagnostiziert. Bei knapp 30 Prozent der jungen Frauen zwischen 20 und 34 Jahren wurde mindestens einmal eine psychische Diagnose gestellt, junge Männer waren mit einem Anteil von 13,4 Prozent bei den Studenten und 12,5 Prozent bei den Beschäftigten deutlich weniger betroffen. Nach Angaben der TK erhalten mittlerweile gut fünf Prozent der Studentinnen und knapp drei Prozent der Studenten Antidepressiva. In einem Hörsaal mit 400 Plätzen, der von beiden Geschlechtern gleichermaßen besucht wird, bekommen also 16 Hochschüler regelmäßig Antidepressiva, 44 Prozent mehr als im Jahr 2006.

Dabei nehmen die Diagnosen psychischer Störungen bei Studierenden mit steigendem Alter erheblich stärker zu als bei Berufstätigen: Während die Diagnoseraten bei angehenden Akademikern zwischen 20 und 25 sogar leicht unter denen gleichaltriger Beschäftigter liegen, kehrt sich das Verhältnis ab dem 27. Lebensjahr um. Von den 30-jährigen Hochschülern wurde für 17 Prozent der Männer und 36 Prozent der Frauen mindestens einmal eine psychische Diagnose gestellt. „Dies könnte damit zusammenhängen, dass mit steigendem Alter der Druck steigt, das Studium zu beenden. Zudem ist in dieser Altersgruppe der Anteil Studierender, die durch Jobs und Familie mehrfach belastet sind, größer“, vermutet Heiko Schulz, Diplom-Psychologe bei der TK.

Die psychische Gesundheit der Studierenden und jungen Beschäftigten ist laut TK regional sehr unterschiedlich belastet. Im Hinblick auf Depressionen besteht sowohl ein West-Ost-Gefälle, das heißt junge Menschen in den neuen Ländern sind deutlich seltener von der Diagnose Depression betroffen, als auch ein Stadt-Land-Gefälle, da die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen überdurchschnittlich hohe Diagnoseraten aufweisen. Verhältnismäßig geringe Verordnungsraten an Antidepressiva in den Stadtstaaten dürften mit der guten Erreichbarkeit von Psychotherapeuten zusammenhängen. „Insgesamt lässt sich über fast alle Länder hinweg beobachten: Je größer das psychotherapeutische Angebot vor Ort, desto größer sind auch die Behandlungsraten“, so Dr. Grobe. „Lediglich in Sachsen steigt die Inanspruchnahme der Therapie überdurchschnittlich im Vergleich zum Behandlungsangebot.“

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