Zehn Prozent der Ärzte sind wahrscheinlich suchtkrank. Das sind doppelt so viele wie bislang geschätzt. Das berichtet das ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ heute Abend (10. Juni, 22.00 Uhr in Das Erste). „Report Mainz“ bezieht sich dabei auf eine Studie der Röher-Parkklinik aus Eschweiler. Darin wird festgestellt, dass rund ein Drittel der Ärzte süchtig oder zumindest akut suchtgefährdet sind. Der ärztliche Leiter der Klinik, Dr. Wolfgang Hagemann, spricht von einem Ergebnis mit „Fanal-Charakter“. Im Interview mit „Report Mainz“ sagte der Chefarzt: „Wenn wir diese Entwicklung, diese hohe Zahl, fast ein Drittel, als ein Signal nehmen, was fast schon Fanal-Charakter hat, dann ist es ein strukturelles Problem, was diesen Berufsstand betrifft.“

Dr. Hagemann mit seinem Team hat 1287 Ärzte anonym und online befragt. Mittels einer sechsstufigen Antwortskala sollten die Ärzte angeben, ob es zutrifft, dass sie Alkohol und/oder Medikamente nehmen, um beruflichen Stress zu reduzieren. Rund 10 % gaben an, dass das auf sie zutrifft bzw. sogar stark zutrifft. Weitere 20 % der Ärzte gaben an, dass sie teilweise bzw. überwiegend Medikamente und/oder Alkohol benutzen, um beruflichen Druck abzubauen. Das bedeutet, dass deutlich über 100.000 berufstätige Ärzte in Deutschland entweder einen sehr riskanten Konsum von Alkohol/Medikamenten haben oder süchtig sind.

Hagemann, der diese Ergebnisse als alarmierend bezeichnet, stellt darüber hinaus im Interview mit „Report Mainz“ fest, dass „eine deutliche Zunahme seit den neunziger Jahren“ zu verzeichnen ist und Ärzte darüber hinaus weit stärker von Suchtkrankheiten betroffen sind als die Normalbevölkerung (3-5%): „Das heißt die Politik ist auch gefordert da gegenzusteuern, dass das möglichst, zumindest sich auf ein Maß reduziert, wie es in der Bevölkerung anzutreffen ist“, sagte Hagemann im Interview mit „Report Mainz“.

Offenbar sterben viel mehr Ärzte an ihrer Drogensucht als bisher öffentlich wahrgenommen wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle, bislang unveröffentlichte Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum. In dieser Studie ging es um Propofol, das einerseits ein häufig eingesetztes Narkosemittel, aber andererseits eine Substanz mit höchstem Suchtpotential ist. Allein am Missbrauch dieser Substanz sind in den vergangenen fünf Jahren im deutschsprachigen Raum ca. 80 Menschen, vor allem Ärzte, gestorben. Das ergab eine Umfrage unter allen gerichtsmedizinischen Instituten im deutschsprachigen Raum: „Wenn wir tatsächlich in fünf Jahren 80 Tote haben, lassen sie es hundert sein, dann ist das, wenn man es mal übertragen würde auf irgendeine andere Krankheit, ein unmittelbarer Zwang, sofort überall Regularien einzuführen. Aber bei der Sucht als Todesursache wird das praktisch ja mehr oder weniger stillschweigend in Kauf genommen“, sagte der Studienleiter, Prof. Christoph Maier, gegenüber „Report Mainz“.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sieht auf Anfrage von „Report Mainz“ „keinen Handlungsbedarf“ beim Thema süchtiger Ärzte. Das BMG verweist auf die Therapieprogramme, die mittlerweile fast alle Landesärztekammern anbieten. „Report Mainz“ hat eine Umfrage unter allen 17 Kammern durchgeführt. Ergebnis: In den vergangenen fünf Jahren haben nur rund 400 Ärzte ein solches Therapieprogramm erfolgreich absolviert. Legt man die aktuellen Schätzungen der Bundesärztekammer (15.000 süchtige Ärzte, wahrscheinlich sind es aber nach der Studie der Röher-Parkklinik doppelt so viele) zugrunde, haben maximal drei Prozent der Betroffenen eine Therapie erfolgreich absolviert. Auffällig dabei ist, dass die Therapieprogramme in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich häufig genutzt werden. Während in Hessen in den vergangenen 5 Jahren 109 Ärzte daran teilnahmen, waren es in Thüringen gerade mal fünf. Berufsrechtliche Maßnahmen gegen süchtige Ärzte (Entzug oder Ruhen lassen der Approbation) hat es nach Angaben der Landesärztekammern außer in Hessen mit 20 Maßnahmen nur drei Mal gegeben.

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