Jeder Vierte leidet regelmäßig unter ihm – dem Rücken. Ob Verspannungen, Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall, trotz der Häufigkeit existieren viele offene Fragen. Dr. Reinhard Schneiderhan, Orthopäde aus München und Präsident der Deutschen Wirbelsäulenliga, gibt nicht nur Antworten auf allgemeine Fragen, sondern informiert auch über Behandlungsmethoden und Therapien:

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Kann Stress Rückenschmerzen verursachen?

„Ja. Anhaltender Stress führt bei vielen Menschen zu Verspannungen, besonders in Lendenwirbelsäule, Schulter und Nacken. Durch angespannte Muskeln versetzt sich der Körper in Alarmbereitschaft. In ersten Stressphasen schüttet er vermehrt Endorphine aus, was Schmerzen kurzfristig unterdrückt. Langfristige Anspannung führt jedoch zum Abbau körpereigener Endorphinvorräte, wodurch Betroffene selbst leichte Schmerzen verstärkt wahrnehmen. Um diese Beschwerden zu lindern, steht Stressabbau an erster Stelle. Daneben lockern Massagen und gezielte Übungen die Muskulatur.“

Wie entstehen chronische Schmerzen?

„Schmerzen entstehen im Gehirn und üben eine Schutz- und Warnfunktion aus. Am Körper befindliche Schmerzrezeptoren schicken bei einer Reizung, beispielsweise durch Schlagen eines Hammers auf einen Finger, Informationen zum Rückenmark und von dort aus weiter ins Gehirn. Chronisch erscheint der Schmerz, wenn im Rückenmark ständig solche Signale eintreffen. Halten diese Reize länger als drei Monate an, reagieren die Nervenzellen zunehmend empfindlicher und entwickeln ein sogenanntes Schmerzgedächtnis. Geringste Berührungen reichen dann aus, um Leiden auszulösen. In manchen Fällen ist gar kein Auslöser mehr notwendig. Eine Möglichkeit, gegen chronische Schmerzen vorzugehen, besteht darin, betroffene Nervenwurzeln zu blockieren, etwa mit der minimalinvasiven Hitzesondebehandlung. Mit der Rückenmarkstimulation lassen sich die Schmerzen durch elektrische Impulse überlagern. Verhaltenstherapeutische Maßnahmen, aktive Selbstkontrolle und eine offene Lebenseinstellung beeinflussen das Nervensystem zusätzlich positiv.“

Was passiert bei einer Physiotherapie?

„Ärzte verschreiben physiotherapeutische Maßnahmen oft bei Rückenschmerzen und Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule. Hauptsächlich zielt Physiotherapie darauf ab, die Funktionsfähigkeit des Körpers zu erhalten oder wiederherzustellen. Dabei laufen Behandlungen immer individuell auf den Patienten abgestimmt ab. Zum Beispiel beugen selbst oder durch den Therapeuten durchgeführte Bewegungen Erkrankungen vor und unterstützen Heilungsprozesse. Behandlungsdauer und Heilmethode bestimmen ärztliche Verordnungen. Je nach Notwendigkeit nimmt die Therapie mehrere Wochen bis Monate in Anspruch.“

Sollte man sich vor einer Wirbelsäulenoperation eine Zweitmeinung einholen?

„Wenn ein Orthopäde oder Neurochirurg zu einem operativen Eingriff an der Wirbelsäule rät, empfiehlt es sich, eine zweite Meinung einzuholen. Auch wenn Operationen im Einzelfall die Situation verbessern, sind sie nicht immer unbedingt nötig und bergen Risiken. Wer sich ausreichend informiert, bezieht am besten Meinungen verschiedener Fachspezialisten mit ein. Da die Kasse die Kosten hierfür übernimmt, steht dieser präventiven Maßnahme nichts im Weg. So entsteht eine solide Entscheidungsgrundlage, auf der sich die Wahl der optimalen Therapie treffen lässt.“

Was ist eine Rückenmarkspiegelung?

„Bei der Rückenmarkspiegelung, auch Epiduroskopie genannt, führt der behandelnde Arzt einen nur 1,2 Millimeter dünnen Mikro-Katheter in die Wirbelsäule ein. In diesem befindet sich neben einem Kanal für mögliche Behandlungsschritte auch eine Videofaser. Der direkte Blick durch die Kamera hilft dabei, rückenmarksnahe Schmerzsyndrome zu diagnostizieren und zu therapieren. Unter leichter Dämmerschlafanästhesie angewendet, erweist sie gute Dienste bei lokalen Entzündungen, Verklebungen, Narbenbildungen, Engstellen und Resten von Bandscheibenvorfällen. Im gleichen Schritt lassen sich über den zweiten Kanal entdeckte Vernarbungen lösen oder Medikamente injizieren.“

Wann kommt eine künstliche Bandscheibe zum Einsatz?

„Minimalinvasive Verfahren reichen nicht immer aus, um Beschwerden zu lindern. Große Bandscheibenvorfälle oder starke Schäden der Stoßdämpfer erfordern in manchen Fällen eine künstliche Bandscheibe. Seit 15 Jahren erprobt, hilft dieses Therapieverfahren, Aktivität und Beweglichkeit der Wirbelsäule zu erhalten und die übrigen Bandscheiben vor Verschleiß und Belastungsschäden zu schützen. Über einen kleinen Hautschnitt entfernt der Operateur zuerst die degenerierte Bandscheibe und korrigiert dann die Stellung der Wirbelkörper. Nachdem er die Prothese exakt in der richtigen Position verankert hat, übernimmt sie, bestehend aus zwei Metallplatten und einem dazwischen liegenden beweglichen Kunststoffgleitkern, die ursprünglichen Funktionen. Aufgrund der dadurch bewahrten Beweglichkeit der Wirbelsäule eignet sich dieses Verfahren besonders für aktive Patienten unter 55 Jahren.“

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