Gibt es bald jährliche Corona-Impfungen? Sollten sich auch Menschen gegen SARS-CoV-2 impfen lassen, die bereits infiziert waren? Wie sinnvoll sind Corona-Impfungen überhaupt und welcher Impfstoff ist empfehlenswert? Wir haben über viele Fragen rund um das Coronavirus mit Prof. Dr. Carsten Watzl gesprochen, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Leiter des Forschungsbereichs Immunologie an der TU Dortmund.

Herr Prof. Watzl, mit welchem der drei bislang in der EU zugelassenen Impfstoffe würden Sie sich als Immunologe gegen SARS-CoV-2 impfen lassen?

Prof. Dr. Carsten Watzl: In der aktuellen Situation würde ich jeden Impfstoff nehmen, der mir angeboten wird.

Manche Menschen glauben, mRNA-Impfstoffe seien besser als Vektorimpfstoffe. Stimmt das?

Watzl: In Bezug auf Sicherheit nein, in Bezug auf Effektivität ja. 95 Prozent Effektivität sind besser als 70 oder 80 Prozent. Aber eine Studie aus Schottland hat kürzlich gezeigt: Der AstraZeneca-Impfstoff kann Krankenhaus-Einweisungen nach der ersten Dosis sogar besser verhindern als der BioNTech-Impfstoff. Von daher sage ich ganz klar: Alle drei Impfstoffe sind sehr gute Impfstoffe.

Was ist der Unterschied zwischen der Effektivität und der Tatsache, dass die schweren Verläufe vermindert werden?

Watzl: Die Effektivität bemisst sich an der Zahl der durch PCR nachgewiesenen COVID-19-Erkrankungen, unabhängig von der Schwere des Verlaufs. Dabei wird eine geimpfte mit einer Placebo-Gruppe verglichen. Je weniger Erkrankungen in der klinischen Gruppe auftreten, desto effektiver ist der Impfstoff. 80 Prozent Effektivität bedeutet aber keineswegs, dass 80 Prozent der Geimpften einen Schutz haben und 20 Prozent nicht.

Sondern?

Watzl: Grundsätzlich entwickeln alle Geimpften eine mehr oder minder starke Immunreaktion. Schwere Verläufe wurden bei allen drei Impfungen mit einer sehr hohen Effektivität verhindert. Und genau deswegen lassen wir uns ja impfen. Es geht nicht darum, eine grippeähnliche Erkrankung mit ein paar Tagen Bettruhe zu verhindern, sondern eine Krankheit, die mich ins Krankenhaus bringen oder an der ich sogar sterben könnte.

Wie und weshalb trägt jeder dieser Impfstoffe dazu bei, die Pandemie zu bewältigen?

Watzl: Wir machen ja den Lockdown und die ganzen Maßnahmen nicht deshalb, weil wir eine hohe Infektionsrate haben, sondern weil wir eine hohe Todesrate haben und viele Krankenhauseinweisungen. Das ist anders als bei einer Grippe, und wenn wir dieses Virus nicht kontrolliert hätten, dann hätten wir den Zusammenbruch des Gesundheitssystems erlebt. Die Impfung schützt vor schweren Verläufen und trägt so dazu bei, einen solchen Kollaps zu verhindern – das gilt für alle bislang in der EU zugelassenen Impfstoffe.

Wovor schützen diese Impfstoffe genau – und gibt es da Unterschiede zwischen den einzelnen Impfstoffen? Manche glauben ja, ein mRNA-Impfstoff würde die DNA verändern.

Watzl: Das Prinzip einer Impfung ist, dass ich dem Körper einen Teil des Erregers zeige, damit das Immunsystem auf diesen fremden Erreger reagieren kann und eine Immunreaktion erfolgt – der Körper bildet Gedächtniszellen aus, die den Erreger erkennen und bekämpfen. Bei den mRNA-Impfstoffen transportiert die mRNA den Bauplan für das so genannte Spike-Protein des Coronavirus in die Zellen. Also nur einen kleinen Teil des Virus, und zwar diesen roten Böppel auf den Tentakeln, die man auf den Abbildungen sieht. Das Immunsystem erkennt das als fremd und reagiert mit einer Immunantwort. Unsere Zellen benutzen mRNA übrigens auch, um Proteine herzustellen; sie gelangt nicht in den Zellkern, sondern liegt nur im Zytoplasma vor, in der äußeren Zellhülle – und schon deshalb ist es ausgeschlossen, dass die mRNA genetische Veränderungen verursacht. Bei den Vektorimpfstoffen wird der Bauplan des Spike-Proteins über ein Adenovirus in den Zellkern eingeschleust, also über ein harmloses Erkältungsvirus. Auch da erfolgen keine genetischen Veränderungen, die etwa Krebs auslösen könnten. Wir alle infizieren uns immer wieder mit Adenoviren und bekommen eine Erkältung, aber keinen Krebs. Es gibt auch schon Untersuchungen, die gezeigt haben: Es gibt keine erhöhte Krebsrate von Menschen, die sich mit Adenoviren infiziert haben.

Wie gut wirken die Impfstoffe gegen die mutierten Corona-Varianten?

Watzl: Die britische Mutante B1.1.7., die sich aktuell in Deutschland stark verbreitet, macht mir aus immunologischer Sicht keine Sorgen. Denn hier haben die Daten gezeigt, dass die Impfstoffe genauso wirksam sind. Bei den Mutanten, die zuerst in Südafrika und in Brasilien aufgetreten sind, zeigen Laborversuche: Die Antikörper, die durch die Impfung erzeugt werden, binden etwas weniger gut auf diese Mutanten. Der Immunschutz ist also abgeschwächt. Eine aktuelle Studie zu dem Impfstoff von Johnson & Johnson zeigt, dass die Effektivität bei der Südafrika-Mutante etwas geringer ist. Die gute Nachricht ist aber: Auch in Südafrika wurden durch diesen Impfstoff die schweren Verläufe genauso gut verhindert wie in den USA. Man muss also klar sagen: Die Impfungen werden auch gegen die Südafrika- und die Brasilien-Mutante nicht nutzlos sein. Sie büßen etwas von ihrer Effektivität ein, verhindern aber schwere Krankheitsverläufe immer noch sehr gut. Natürlich wissen wir nicht, wie sehr sich das Virus noch verändert. Es kann durchaus sein, dass wir irgendwann diese Impfstoffe nachbessern müssen. Aber wenn man eine Grundimmunität durch die jetzt bestehenden Impfungen hat, dann ist man sicherlich auch viel besser gegen die jetzigen Mutanten geschützt als ohne Impfschutz.

Wird es ähnlich wie bei der Grippe-Impfung jedes Jahr eine Corona-Impfung geben?

Watzl: Nein. Denn das Coronavirus verändert sich nicht so schnell und jedes Jahr. Das hat mit dem Aufbau der Viren zu tun. Es kann sein, dass wir mal nachbessern müssen, aber sicherlich nicht in jährlichem Abstand. Und auch die Immunität durch die Impfung wird beim Coronavirus sicherlich mehrere Jahre anhalten. Wir sehen bei uns im Labor, dass Menschen, die sich im März 2020 infiziert haben, immer noch hohe Antikörperspiegel haben – und Geimpfte haben im Durchschnitt höhere Antikörperspiegel als natürlich Infizierte. Ich gehe davon aus, dass der Impfschutz drei, fünf oder gar zehn Jahre ausreicht.

Wie sinnvoll ist es für Menschen, die COVID-19 schon hatten, sich impfen zu lassen?

Watzl: Nicht alle Infizierten entwickeln hohe Antikörperspiegel. Das hängt auch mit der Schwere der Erkrankung zusammen. Bei einem leichten oder asymptomatischen Verlauf ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass jemand keine oder nur wenige Antikörper entwickelt. Da könnte es sein, dass diese Person dann nicht so lange geschützt ist. Aktuell gilt die Empfehlung, nach einer Infektion zumindest ein halbes Jahr zu warten. Danach kann man sich dann impfen lassen, um einen besseren und länger anhaltenden Schutz zu bekommen. Man bekommt dann aber nur noch eine Impfung, so die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO). Denn die Infektion wirkt wie eine erste Impfung – die Spritze, die ich später bekomme, ist Impfung Nummer 2.

Wäre es sinnvoll, zunächst möglichst viele Menschen mit einer ersten Dosis zu versorgen und dafür die zweite Impfung erst später zu verabreichen – so, wie es die Briten gemacht haben?

Watzl: In der jetzigen Phase, wo der Impfstoff noch knapp ist, ist es sicherlich eine gute Strategie, zunächst möglichst vielen Leuten einen grundsätzlichen Schutz zu geben. Der Impfstoff von AstraZeneca erreicht sogar eine höhere Effektivität, wenn man etwas länger wartet, zwölf Wochen nach den Empfehlungen der STIKO. Schon die erste Impfung kann viele schwere Verläufe verhindern. Allerdings sieht man bei den mRNA-Impfungen, dass der Schutz nach sechs bis acht Wochen schwächer wird. Hier lautet die Empfehlung deshalb, nach spätestens 42 Tagen die zweite Impfung zu setzen. Ich finde es schade, wenn bei knappen Mengen an Impfdosen nur die Hälfte verimpft und die andere Hälfte zurückgehalten wird. Das müssen wir ändern. Wenn wir dann irgendwann genügend Impfstoff haben, dann kann man natürlich darüber nachdenken, das Intervall wieder zu verkürzen, zumindest bei den mRNA-Impfstoffen.

Was sagen Sie Menschen, die überlegen, ob sie sich überhaupt gegen das Coronavirus impfen lassen sollen?

Watzl: Denen empfehle ich eine persönliche Risikoabschätzung: Wie wahrscheinlich ist ein schwerer Verlauf bei einer Infektion und wie wahrscheinlich sind negative Auswirkungen durch die Impfung? Da wird schnell deutlich: In der persönlichen Risikoabwägung gewinnt die Impfung immer, auch für 20-Jährige. Die möglichen Nebenwirkungen durch die Impfung sind alle vorübergehend, wie etwa grippeähnliche Symptome, die kurz nach der Impfung auftreten. Darüber hinaus gibt es noch das Risiko einer allergischen Reaktion, das betrifft ungefähr einen von 100.000 Geimpften. Bisher sind keine weiteren schweren Nebenwirkungen bei mehreren Millionen Impfdosen aufgetreten, die in der EU verabreicht worden sind. Mein Risiko, irgendeinen Schaden durch die Impfung zu nehmen, ist viel geringer als mein Risiko durch die Coronavirus-Infektion. Das gilt auch für junge Menschen, die nur zu einem geringen Prozentsatz im Krankenhaus landen. Zumal wir wissen, dass auch die jungen Leute, selbst wenn sie wieder genesen, teilweise noch unter Langzeitfolgen durch die Infektion leiden. Mein Rat lautet deshalb: Lassen Sie sich auf jeden Fall impfen, sobald das möglich ist. Und wenn Sie die Wahl haben, entweder jetzt einen Schutz zu erhalten oder noch Monate auf einen mRNA-Impfstoff zu warten, dann sage ich: Nehmen Sie einfach den zugelassenen Impfstoff, den Sie kriegen können.

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