Narzissmus gilt heutzutage als weit verbreitetes Problem im zwischenmenschlichen Miteinander. Insbesondere in den Führungsetagen wird mit der Aussage „So ein Narzisst!“ so mancher Führungskraft die Kombination aus Größenwahn, Selbstverliebtheit, Ich-Bezogenheit und Gefühlskälte attestiert. Doch damit wird nur unscharf ein Subtyp von Narzissmus beschrieben. Auch ist die Unterscheidung von gesundem Narzissmus und seinen krankhaften Ausprägungen bestenfalls schwammig, oft nicht vorhanden. Die Übergänge zwischen den Unterformen sind fließend und schwer abzugrenzen. In unserem Dossier auf therapie.de gibt es Hintergrundinformationen zur Herkunft und Ausprägungen des Narzissmus, Krankheitsbildern der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sowie Behandlungsmethoden in der Therapie.
Ein Fallbeispiel
Ines S. lebte über viele Jahre mit einem erfolgreichen Manager zusammen, der sie nach jahrelanger Ehe immer wieder wie Dreck behandelte. Sie selbst war sehr vernachlässigt aufgewachsen, niemand hatte sich für ihre innere Welt interessiert und dazu kamen noch bedrohliche Verlusterfahrungen. Einmal hatte sie ihn angerufen, um sich mit ihm nach einer Auseinandersetzung zu treffen und zu versöhnen, als er ihr antwortete: „Mit welchem Stück Scheiße spreche ich eigentlich?“
Sie war trotzdem von seinem Charme und seinen sozialen Fähigkeiten im Umgang mit anderen fasziniert und auch ihr gegenüber konnte er zeitweise sehr zugewandt sein. Trotz sich wiederholender Demütigungen bis hin zu körperlichen Attacken blieb sie mit diesem Mann zusammen und kündigte ihre Trennung immer wieder an, ohne sie zu vollziehen. Erst der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik ermöglichte ihr, Abstand zu finden und sich zu trennen. Gleichwohl versuchte sie danach zu verstehen, warum sie so lange an der Beziehung festgehalten hatte.
Ines S. leidet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, dem verdeckten Narzissmus. Für viele Menschen ist diese Form überraschend, assoziieren sie doch mit Narzissmus Personen mit einem übersteigerten Selbstwertgefühl, manipulativen Machtspielchen und Gefühlsausbrüchen. Die Bereitschaft sich erniedrigen zu lassen und einen anderen Menschen als sich selbst zu bewundern, gehört definitiv nicht zu den verbreiteten Vorstellungen von Narzissmus.
Die Subtypen von Narzissmus
Narzissmus begegnet uns im Alltag in vielen Formen. Dies gilt gleichermaßen für gesunde und psychisch kranke Menschen. Narzissten sind oft schillernde und wortgewandte Persönlichkeiten. Diese nehmen durch kognitive Empathie zwar deutlich wahr, was sich das Gegenüber wünscht, aber nur zum Zwecke des Eigennutzens.
Die wohl bekannteste Ausprägung ist der exhibitionistische Typus, auch als offener Narzissmus bekannt. Er stellt seine Großartigkeit öffentlich zur Schau und präsentiert sich selbstbewusst, wirkt dabei oft kühl und arrogant. Der grandios-maligne Typus erweitert diese Dimension um bösartiges Verhalten. Durch Paranoia und Aggression neigt der Typus zu Rache, wenn er Ablehnung fühlt. Der verdecke Narzissmus in Form des vulnerablen-fragilen Typus bleibt oftmals unerkannt, da diese Personen überaus verletzlich, schüchtern und sensibel auftreten. Kritik oder Zurückweisung lassen sie in schwere Krisen verfallen.
Gesunder Narzissmus versus Diagnose narzisstische Persönlichkeitsstörung
Narzissmus an sich ist nicht krankhaft. Jeder Mensch trägt – oder sollte – eine gesunde Portion Narzissmus in sich tragen, um seine eigenen Bedürfnisse zu stillen und eigenen Interessen Vorrang einräumen zu können. Erst wenn die Tendenz zu einem narzisstischen Persönlichkeitsstil vieles überstrahlt, verbunden mit stetiger zwischenmenschlicher Unverträglichkeit, liegt wahrscheinlich eine Persönlichkeitsstörung vor.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird häufig mit einer Borderline-Störung beobachtet und vor allem beim vulnerablen Narzissmus mit dieser verwechselt. Weitere Begleiterscheinungen können beispielsweise Depressionen oder Suchterkrankungen sein. In den meisten Fällen sind die krankhaften Begleiterscheinungen und das konfliktlastige Umfeld der eigentliche Grund, warum sich diese Menschen in Therapie begeben. Das narzisstische Verhalten selbst erscheint den wenigsten Betroffenen als problematisch. Das Umfeld jedoch leidet stets.
Für die Behandlung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen gibt es mehrere Therapieformen. Es lassen sich grundsätzlich eigens dafür entwickelte Methoden von denjenigen unterscheiden, die sich aus der Verhaltens- und Schematherapie ableiten. Die Übertragungsfokussierte Psychotherapie und die Mentalisierungsbasierte Therapie werden auch bei der Behandlung von Borderline-Störungen eingesetzt. Die Kognitive Verhaltenstherapie und die Schematherapie sind weitere erfolgversprechende Behandlungsmethoden. Therapeutische Erfolge sind bei vulnerablem Narzissmus größer als bei grandiosem. Selbst wenn der Leidensdruck derselbe ist, suchen letztere seltener Hilfe und verleugnen ihre Probleme.
Zum Dossier Narzissmus und narzisstische Persönlichkeitsstörung:
https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/narzissmus/artikel/