Auf der Suche nach Alternativ-Schmerztherapien sieht Mario Eimuth die Patienten weiterhin am deutschen Gesundheitssystem scheitern. Um die Akzeptanz von Medizinal-Cannabis zu verbessern, hat der Gründer des Pharma-Start-ups ADREXpharma drei Extrakte in unterschiedlichen THC- und CBD-Konzentrationen entwickelt. Zudem baut er stetig die Lieferketten aus und sichert sich international Partner für eine optimierte Produktlage und einen größeren Zugang zu Studienergebnissen.

Nur Monate, nachdem am 10. März 2017 das Cannabis-Gesetz in Kraft trat, haben Sie Ihr Pharmaunternehmen ADREXpharma gestartet. Ihr Fokus liegt auf Ausgangsstoffen für Rezepturarzneimittel wie Cannabidiol und Dronabinol, Cannabisblüten und THC-Extrakten, eine CBD-Naturkosmetik komplettiert das Portfolio. Wie stellt sich die Lage nach über vier Jahren da: Setzen sich Ärzte in Deutschland inzwischen mehr mit Cannabis-Wirkstoffen und den alternativen Therapiemöglichkeiten auseinander, sehen Sie eine größere Akzeptanz? Und vor allem: Spielen die Krankenkassen heute besser mit?

Leider sehe ich weiterhin Widerstände, sowohl bei Ärzten als auch in der Genehmigungspraxis der Krankenkassen. Bei Ärzten und Apotheker liegt es zum Teil wohl daran, dass sie in ihrem Studium nie etwas über Cannabis gelernt haben. Und für Fortbildungen muss eine gewisse Aufgeschlossenheit vorhanden sein. Noch immer ist es für den Arzt einfacher, ins Computersystem zu schauen: Was gibt es für Therapieansätze, was kann ich verschreiben und in welcher Dosierung. Diese Abläufe sind vorgegeben und sparen Zeit.Die Cannabis-Therapie ist ungleich komplexer. Der Versuch, eine passende Darreichungsform und Dosierung zu finden, bereitet dem Arzt größere Schwierigkeiten, als zu einem Fertigarzneimittel zu greifen. Dabei ist der Markt für medizinisches Cannabis inzwischen deutlich breiter, und auch der Informationsstand entwickelt sich. Viele Interessensgruppen treiben heute die Causa Cannabis mit voran. Zum Beispiel plädiert die Deutsche Schmerzgesellschaft dafür, Genehmigungsverfahren nicht länger den Krankenkassen zu überlassen. Über Einzelverträge mit den Kassen sollten Mediziner stattdessen in die Lage versetzt werden, je nach Patientengeschichte über die Genehmigung zu entscheiden. Wie bei anderen – teilweise stark nebenwirkungslastigen Schmerzmitteln – auch.

Bleiben Studien zu den Wirkungsweisen die einzige valide Quelle, um eine Alternativ-Therapie mit Cannabis-Wirkstoffen in Betracht zu ziehen?

Fortschritt, auch in der Medizin, bedeutet immer den Bruch mit bestehenden Konventionen. Ohne Überschreitungen als treibenden Faktor hätte es bahnbrechende neue medizinische Erkenntnisse und Therapieformen nie gegeben. Ich glaube, dass die Pandemie-Situation unser Bewusstsein für das, was in der Forschung geleistet wird und was sie leisten kann, wieder in eine realistische Relation gerückt hat. Dass man an neue Medikationen oder Indikationsformen nicht grundsätzlich mit einem Absolutheitsanspruch herangehen kann.Aber wenn man zeigen kann, dass in 50 % aller Fälle eine Verbesserung der Zustände beim Patienten erfolgt, hat man einen sehr hohen Wirkungsgrad erreicht. Viele Krebsmedikationen haben beispielsweise einen Wirkungsgrad von knapp einem Drittel. Ich halte es für sehr wichtig, dass man solche Zahlen immer mal wieder in das allgemeine Bewusstsein rückt.

Profitieren denn inzwischen mehr Patienten von den Cannabis-Therapieansätzen?

Die große Herausforderung bleibt zum einen der noch relativ geringe Anteil innerhalb der Ärzteschaft, der eine Cannabisbehandlung als Option ansieht. Hierin liegt aktuell ein Nadelöhr für jeden, der diese Therapie als Alternative sieht und eine Beratung sucht. Das liest man auch quer durch diverse Patientenforen: Die Menschen finden nur mühsam einen Arzt, der dafür offen ist. Außerdem erfordert die Verschreibung von Cannabis unter anderem BTM-Rezepte. Die muss ein Arzt bei der Bundesopiumstelle gezielt anfordern. Und man braucht in der Praxis einen Tresor, um die Rezepte wegschließen zu können. Diesen Mehraufwand wollen viele nicht leisten und das verlangsamt natürlich den Verbreitungsgrad. Dieser Zustand frustriert, und häufig wird der Patient sogar bewusst im Dunkeln darüber gelassen, wo er eigentlich BTM-Rezepte bekommen kann. Kann der Arzt es nicht verschreiben, wird dem Patient nicht selten gesagt, man wolle das nicht verschreiben. Da schwingt im Subtext natürlich eine Bewertung mit. Patienten gehen ja nicht mit der Information nach Hause: Der Arzt möchte keinen Tresor. Sondern sie nehmen die Aussage mit: Mein Arzt hält nichts von dieser Therapie. Das ist für den gesamten Therapieansatz hinderlich. Und hat man endlich doch einen Arzt gefunden, kommt als nächste große Hürde die Genehmigung durch die Kassen. Dass die Krankenkassen noch etwa ein Drittel der Anträge zur Verordnung von Cannabinoiden ablehnen, kritisiert inzwischen auch die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS). Sie will die Verordnung von Cannabinoiden zur Schmerzbehandlung erleichtern. Dafür setzt sie sich unter anderem für Selektivverträge mit Krankenkassen ein. Das würde die bürokratischen Hürden gegenüber einer ausreichenden Versorgung von Schmerzpatienten abbauen.

Warum bleiben die Widerstände gegenüber Cannabis groß?

Wie gesagt, sehe ich dahinter die weitgehende Unkenntnis, wie Medical Cannabis funktioniert, wie man dosiert und den Patienten begleitet. Und natürlich spielt die Weigerung der Krankenkassen, den Genehmigungs-Spielraum überhaupt oder möglicherweise sogar für eine größere Substanzen-Breite zu eröffnen, eine wesentliche Rolle. Selbst wenn ein Arzt verschreiben wollen würde, weil er von der Therapie für den Patienten überzeugt ist, bliebe er bzw. der Patient bei Ablehnung des Antrags auf Kostenübernahme auf den Ausgaben sitzen. Eine Cannabis-Therapie können nur wenige Betroffene privat bezahlen und auch ein Arzt will bei etwaiger Übersteigung seines Praxisbudgets von der Kasse nicht Gefahr laufen, in Regress genommen zu werden. Wenn die Krankenkasse ablehnt, kommt mit dem Ablehnungsbescheid die Empfehlung, welche andere Therapie-Option bzw. welches andere (eventuell günstigere) Medikament noch zur Verfügung steht, da eine Cannabis-Therapie immer die letzte Therapie-Möglichkeit sein soll und man vorher größtenteils austherapiert sein muss. Legt man als Patient dagegen Einspruch ein, können viele Monate vergehen und das macht natürlich mürbe und verlangsamt den gesamten Prozess.

Sie haben Anfang 2021 drei Extrakte in verschiedenen THC / CBD-Zusammensetzungen entwickelt und lanciert, um die Verschreibung und Dosierung zu vereinfachen.

Genau, denn die Widerstände in der Verschreibung im Moment könnten auch damit zusammenhängen, dass Cannabisblüten als Medikament zum Inhalieren weiterhin stigmatisiert sind. Extrakte können diese Wahrnehmung einer Cannabis-Verschreibung etwas mildern. Dass der Markt sich zusehends in Richtung Extrakt entwickeln wird, ist keine nationale oder individuelle Beurteilung. Man sieht die Tendenz weg von den Blüten und hin zu Extrakten seit längerem in Israel und in Kanada.

Wie unterstützt ein Extrakt dabei, die Widerstände der Interessengruppen zu brechen?

Auch wenn die Inhalation eine Möglichkeit ist, bleiben Dosierung und Akzeptanz durch den Patienten ein Thema. Extrakte können das Stigma der Cannabisverschreibung etwas mildern. Für den Patienten ist es ein Angebot, das er viel einfacher handhaben kann. Dem Arzt fällt es leichter, eine Dosierung zu verschreiben, und die Handhabung als Tinktur ist deutlich einfacher zu steuern als das Inhalieren. Ein Apotheker muss das Medikament bei jeder Verschreibung mit der Kasse abrechnen können. Es muss also eine vorgeschriebene Indikation geben: Vorgaben, anhand derer der Apotheker aus einem Extrakt als Naturheilmittel ein Medikament herstellt. Wir produzieren ja kein Fertigarzneimittel, sondern den Ausgangsstoff. Aktuell darf Cannabis inklusive CBD nur so in den Markt eingeführt werden.Aus den Ausgangsstoffen macht die Apotheke nach Identitätsprüfung und ärztlicher Indikation das verschriebene Medikament und der Patient nimmt es nach Vorgabe des Arztes ein. Um hier sukzessive das Spektrum an möglichen Darreichungsformen – und entsprechend Therapieformen – zu erweitern, liefern wir als Rezepturarzneimittel außer Cannabisblüten und CBD auch Dronabinol als ölige Lösung sowie seit Quartal 1/2021 unsere Extrakte.

Sie bringen kontinuierlich neue Rezepturarzneien auf Cannabis-Basis in den Markt: das lässt sicher auf eine positive Entwicklung in der Verschreibungshäufigkeit schließen.

Auch wenn noch viel Luft nach oben ist: Die Zahl der monatlichen Verschreibungen in Deutschland steigt, das zeigen Anfragen und Abnahmezahlen. Wenn die Bewilligungsrate bei den gesetzlichen Krankenkassen in der Tendenz steigt, nachdem sie 2017/18 bei rund zwei Drittel der Anträge lag, mag das unter anderem daran liegen, dass Patienten auch gegen ihre Bescheide geklagt haben.

Steuert eine steigende Patienten-Nachfrage den Markt inzwischen mit?

Die Causa Cannabis ist erkennbar stärker ins Bewusstsein der Patienten gerückt, unter anderem durch die Zunahme medialer Aufmerksamkeit.Das fördert auch den Diskurs zwischen Patienten und Arzt. Offensichtlich führen unter anderem Empfehlungen und „Erfolgs-Geschichten“ in Patientenkreisen zu mehr Verschreibungen. Die Zahl der Cannabis-Foren und Selbsthilfegruppen mit zum Teil sehr bewegenden Krankheitsverläufen wächst zusehends.Andernfalls würde die Abnahme nicht steigen. Sicherlich hat sich in den letzten Jahren zudem der eine und andere Arzt dafür geöffnet, sich mit dieser alternativen Therapieoption auseinanderzusetzen. Geschieht das breitflächig? Nein. Dazu müsste sich der Markt aus meiner Sicht zum einen noch stärker in Richtung Extrakte drehen. Zum anderen wollen weitere Stellschrauben bewegt werden, etwa eine bessere Informationslage in den Fachkreisen.

Der zögerlichen Verschreibungs-Praxis könnte auch zugrunde liegen, dass Krankenkassen dem Arzt eine sehr kurze Beratungszeit für Patienten vorschreiben. So werden oft schnelle, dokumentiert effiziente Mittel verschrieben. Ist eine Cannabis-Therapie daran gebunden, dass ein Arzt mehr Beratungszeit benötigt?

Das Gefühl kennt sicherlich jeder Patient: dass der Arzt nur wenig Zeit für ihn hat. Vielleicht hat auch hier die Corona-Pandemie etwas verändert. Zum Beispiel beraten Ärzte inzwischen per Zoom, eine Präsenz-Beratung ist nicht mehr immer unbedingt erforderlich. Das lässt dem Arzt mehr Freiraum in der Gestaltung des Patientenkontakts. Es ist ein Unterschied, ob er weiß, dass im Wartezimmer 25 Patienten auf ihn warten, oder ob er zwei Stunden Zeit und eine Liste an Patienten hat, mit denen er sich individuell nach seinem Zeitablauf beschäftigen kann. Ich glaube bzw. hoffe, dass die Pandemie ein gewisses Umdenken angestoßen hat respektive hervorbringen wird. Ich habe kein Problem mit Effizienz. Aber dass ein Arzt täglich unter Stress und Zeitdruck arbeiten muss, ist weder für ihn noch für den Patienten angenehm.

Kommt es auch deshalb in Deutschland möglicherweise vermehrt zu Verschreibungen nebenwirkungsstarker Opioide? Laut einer Zählung von Personen im Jahr 2016, die im Substitutionsregister gemeldet sind, wird die Zahl der Opioidabhängigen hierzulande auf etwa 166.000 geschätzt.

Für mich besteht ein großes Problem in der Nachlässigkeit, mit der Schmerzen teilweise therapiert werden. Ich würde mir wünschen, dass mehr Ärzte erkennen, dass mit Cannabis für Patienten eine valide Therapie-Alternative zur Verfügung steht. Stellt man das Patientenwohl in den Vordergrund, sollte es mit Blick auf die großen Nebenwirkungen klassischer Schmerzmittel von Interesse sein, dem Patienten diese Alternative anbieten zu können. In Amerika haben die Ärzte schon für verhältnismäßig leichte Rückenschmerzen Medikamente wie Oxycodon verwendet, und auch bei uns bekommen Patienten regelmäßig Fentanyl-Pflaster verschrieben. Ich möchte aber betonen, dass ich nicht grundsätzlich gegen Opiate bin. Ist ein Patient im Zustand extremer Schmerzen oder auf der Palliativstation, ist es sicherlich korrekt, ihn mit starken Opiaten zu behandeln.

Bei welchen Indikationen verschreiben Ärzte die meisten Cannabis-Therapien?

Den uns bekannten Zahlen nach zumeist bei Schmerzen. 2019 lag der Anteil bei 62 % (Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte)*. Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse hatte im Vorfeld des Cannabis Reports von 2018 bereits gezeigt, dass 92 % der Bevölkerung die neue Medizinal-Cannabis-Regelung befürworten und fast die Hälfte dafür ist, Cannabis auch bei leichteren Erkrankungen einzusetzen. Zu den genannten Einsatzgebieten liegen bereits Wirksamkeits-Statistiken vor. Ich freue mich über jede neue Studie, weil sie den Diskurs befruchtet. Und unabhängig vom Ergebnis: Je nachdem, wer sie liest, ist ja jede Studie angreifbar. Ich denke, man wird und sollte zu Cannabis weiterhin verstärkt auf Beta-Studien gehen. Aktuell sind zirka 100 bis 120 verschiedenste Beta-Studien unterschiedlich fortgeschritten. Doppelblindstudien hat es bereits gegeben, aber eben eher mit 50 oder 60 statt mit 200 oder 300 Patienten. Zum jetzigen Zeitpunkt sind das alles nur Momentaufnahmen. Man muss sie als Bausteine verstehen und entsprechend einordnen. Die aktuell insgesamt 650 laufenden Studien weltweit verleiten mich zu der Aussage: Je mehr geforscht wird, desto interessanter wird es, eine Meta-Studie darüber zu legen. Gibt es zu den einzelnen Indikationsfällen hier eine Studie und da eine Studie, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen, verdichten sich einfach Aussagen. Besonders aufmerksam verfolge ich derzeit die neuen Forschungsansätze zu Alzheimer und Demenz, das finde ich sehr spannend.

* 11 % der Verschreibungen betreffen Spastik, 8% Anorexie, 4% Übelkeit, 3% Depressionen. Weitere Indikationen sind Alzheimer, Multiple Sklerose, Epilepsie, Appetitverlust oder Schlaf- und Angstprobleme.

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