Eine aktuelle Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, dass seit Pandemiebeginn mehr als jeder Fünfte durchgängig erwerbstätige AOK-Versicherte im Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Erkankung ausgefallen ist. In der Folge waren 3,8 Prozent dieser Personen aufgrund einer Long-COVID- oder Post-COVID-Symptomatik arbeitsunfähig. Das entspricht etwa 0,9 Prozent aller erwerbstätigen AOK-Versicherten. Während eine akute COVID-19-Infektion mit durchschnittlich 9,5 krankheitsbedingten beruflichen Ausfalltagen verbunden war, sind es bei Beschäftigten mit einer anschließenden Long-COVID oder Post-COVID-Symptomatik fast sieben Wochen.
Detaillierte Auswertungen zeigen große Unterschiede hinsichtlich der verschiedenen Virusvarianten. So waren in der jüngsten, seit Frühjahr 2022 durch die Omikron-Variante geprägten Krankheitswelle nur 2,1 Prozent der Beschäftigten wegen Long-COVID oder Post-COVID krankgeschrieben, während es beim Vorherrschen der Delta-Variante noch 6,3 Prozent waren. „Damit gibt es aktuell zwar ein geringeres Risiko für eine mögliche anschließende Long-COVID- bzw. Post-COVID-Symptomatik. Die erkrankten Beschäftigten waren aber auch in der Omikron-Welle noch schwer beeinträchtigt und fehlten durchschnittlich mehr als fünf Wochen am Arbeitsplatz. Da aktuell nur wenig über die COVID-bedingten Langzeitfolgen bekannt ist, sollte weiterhin gelten, sich und andere bestmöglich vor einer COVID-19-Infektion zu schützen“, so Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.
In den zurückliegenden 29 Monaten (1. März 2020 bis 31. Juli 2022) haben insgesamt 1,8 Millionen durchgängig bei der AOK versicherte Beschäftigte im Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Infektion in ihren Unter-nehmen gefehlt. Damit war seit Beginn der COVID-19-Pandemie mehr als jeder fünfte Beschäftigte (22,5 Prozent) betroffen. Pro Erkrankungsfall gab es im Durchschnitt 9,5 krankheitsbedingte Ausfalltage. 3,8 Prozent der Betroffenen waren laut der Diagnosen ihrer Arbeitsunfähigkeitsmeldung im weiteren Verlauf von Long-COVID oder Post-COVID betroffen. Dies entspricht seit Pandemiebeginn etwa 68.000 AOK-versicherten Personen, die aufgrund ihrer Erkrankung durchschnittlich 47,4 Tage in ihren Betrieben fehlten.
In der Phase, in der die sogenannte Delta-Variante dominierte (Oktober bis Dezember 2021), gab es dabei verhältnismäßig mehr, absolut betrachtet jedoch weniger von Long-COVID oder Post-COVID Betroffene als in der Phase, in der die Omikron-Variante vorherrschte (Februar bis April 2022). So wurden im Rahmen einer jeweils dreimonatigen Nachbeobachtungszeit in der Delta-Welle 6,3 Prozent von den mehr als 200.000 akut COVID-19-erkrankten Beschäftigten wegen Long-COVID oder Post-COVID arbeitsunfähig geschrieben. Dies traf in der Omikron-Welle nur auf 2,1 Prozent der etwa 782.000 akut erkrankten Personen zu. Von den Arbeitsunfähigkeitsfällen wegen Long-COVID oder Post-COVID stammen mehr als die Hälfte (54,5 Prozent) aus dem Omikron-Zeitraum. Die durchschnittliche Zahl der erkrankungsbedingten Ausfalltage lag jedoch im Delta-Zeitraum mit 44,6 Tagen deutlich über der des Omikron-Zeitraums mit 39,6 Tagen.
Über den gesamten Pandemiezeitraum hinweg zeigte sich in der WIdO-Auswertung eine höhere Betroffenheit unter älteren und unter weiblichen AOK-versicherten Erwerbstätigen. So war der Anteil der über 60-Jährigen, die nach einer akuten COVID-Erkrankung längerfristig arbeitsunfähig waren, mehr als viermal so hoch wie der Anteil bei den unter 29-Jährigen (1,4 Prozent versus 0,3 Prozent). Zudem waren ältere Erwerbstätige fast doppelt so lang erkrankt wie jüngere (55,7 Tage je Fall versus 31,8 Tage je Fall). Die Auswertung zeigt zudem, dass Frauen häufiger von Long-COVID oder Post-COVID betroffen waren als Männer (1,0 Prozent versus 0,7 Prozent). Dieser Unterschied zeigte sich trotz des geringeren Altersdurchschnitts bei den weiblichen Erkrankten (49,1 Jahre versus 50,5 Jahre).
Laut der Analyse des WIdO waren in Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege sowie in Berufen der Kinderbetreuung und Kindererziehung die meisten Beschäftigten von Long-COVID oder Post-COVID betroffen. „Dieses Ergebnis lässt sich zum einen mit dem Anteil akuter COVID-19-Infektionen in diesen Berufsgruppen erklären, der in Berufen mit vielen Kontakten zu anderen Menschen sehr viel höher war. Zum anderen spielen die Alters- und Geschlechtsstruktur sowie die Verteilung der Risiken für Vor- und Folgeerkrankungen in den einzelnen Berufsgruppen hierbei eine zentrale Rolle“, sagt Helmut Schröder.
Allgemeiner Krankenstand im Jahr 2022 besonders stark gestiegen
Insgesamt ist der Krankenstand zwischen Januar und Juli 2022 mit 6,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sehr stark gestiegen (Krankenstand Januar bis Juli 2021: 5,1 Prozent). Bei den Ursachen der Krankschreibungen zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Vorjahren: Zwischen Januar und Juli 2022 ist die AU-Quote aufgrund von Atemwegserkrankungen auf 28,8 Prozent angestiegen und hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. Die Falldauer sank dabei um 0,4 Tage auf 7,7 Tage je Krankheitsfall. Bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen ist im Vergleich ein Anstieg der AU-Quote (Januar bis Juli 2020: 13,0 Prozent versus Januar bis Juli 2022: 14,2 Prozent) bei einem zeitgleichen Rückgang der Falldauer (Januar bis Juli 2020: 18,4 Tage versus Januar bis Juli 2022: 16,4 Tage) zu beobachten. Bei psychischen Erkrankungen ist ebenfalls ein Anstieg der AU-Quote um 0,3 Prozentpunkte von 2020 auf 2022 zu sehen, wobei die Falldauer sehr hoch und relativ konstant bei 28,5 bis 28,7 Tagen je Fall liegt.
Höhepunkt der Krankmeldungen wegen akuter COVID-19-Erkrankungen im März 2022
Der wellenartige Verlauf der Prävalenz von COVID-19-Infektionen in der Bevölkerung spiegelt sich auch in den krankheitsbedingten Fehlzeiten aller AOK-versicherten Beschäftigten wider. Nach mehreren Auf- und Abwärtsbewegungen erreichte die COVID-19-Pandemie ihren vorläufigen Höhepunkt im März 2022 mit 4.913 Erkrankten je 100.000 Beschäftigte.
Berufe in der Kinderbetreuung und Kindererziehung besonders von Infektionen betroffen
Vor allem Beschäftigte in den Branchen Erziehung und Gesundheitswesen waren von Erkrankungen im Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Infektion betroffen. Betrachtet man alle erwerbstätigen 14,1 Millionen Personen, die im Pandemie-Zeitraum von März 2020 bis Juli 2022 mindestens einen Tag bei der AOK versichert waren, so waren Berufe der Kinderbetreuung und Kindererziehung mit 28.315 Erkrankten je 100.000 AOK-Mitglieder am häufigsten betroffen, gefolgt von medizinischen Fachangestellten mit 25.849 Erkrankten je 100.000 AOK-Mitglieder. In Berufen der pharmazeutisch-technischen Assistenz (24.832 Erkrankte je 100.000 AOK-Mitglieder) und in Berufen der Ergotherapie (24.651 Erkrankte je 100.000 AOK-Mitglieder) wurden ebenfalls viele Krankschreibungen im Zusammenhang mit akuten COVID-19-Infektionen verzeichnet. Die niedrigsten COVID-19-bedingten Fehlzeiten wiesen Berufe in der Landwirtschaft (3.599 Erkrankte je 100.000 AOK-Mitglieder) und im Hochbau (5.809 Erkrankte je 100.000 AOK-Mitglieder) auf. „Es ist zu befürchten, dass eine weitere COVID-19-Welle bis Ende 2022 wieder mit einer flächendeckenden Betroffenheit in einer Vielzahl von Berufsgruppen verbunden sein könnte. Dies könnte erneut Auswirkungen auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten bei Beschäftigten in der kritischen Infrastruktur haben“, so Schröder.
Hinweise zur Auswertung der Krankschreibungen aufgrund von Long-COVID oder Post-COVID
Die WIdO-Analyse berücksichtigt nur Personen, bei denen vor einer dokumentierten Long-COVID- oder Post-COVID-Symptomatik eine AU-Meldung im Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Infektion in der ärztlichen Vorgeschichte dokumentiert war. Bei 29 Prozent aller von Long-COVID oder Post-COVID betroffenen Beschäftigten wurde jedoch eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsmeldung dokumentiert, ohne dass zuvor eine Krankmeldung im Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Infektion verzeichnet worden war. Dies war bei knapp 28.000 Personen der Fall. In dieser Beschäftigtengruppe war die Dauer pro AU-Fall zudem deutlich geringer als bei denjenigen mit dokumentierter akuter COVID-19-Infektion in der Vorgeschichte. Erklärungen für diese „Lücke“ könnten falsch-negative Testergebnisse, symptomfreie bzw. nicht detektierte Akut-Erkrankungen, Akut-Erkrankungszeiten bis zu drei Tagen Arbeitsunfähigkeit, unterschiedliche Dokumentationsgewohnheiten bei Leistungserbringern sowie das uneinheitliche, verhältnismäßig weit und eher unscharf definierte Erkrankungsbild von Long-COVID und Post-COVID sein.
Die Bezeichnung Long-COVID umfasst aktuell ein breites Spektrum körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen in der Folge einer akuten COVID-19-Infektion. Ein einheitliches Krankheitsbild lässt sich bis dato nicht eingrenzen. Beeinträchtigungen, die über vier Wochen bis maximal zwölf Wochen nach einer Infektion andauern, werden nach aktueller Definition der Weltgesundheitsorganisation als Long-COVID bezeichnet. Länger anhaltende Beeinträchtigungen werden als Post-COVID definiert. Um beide Folgen einer akuten COVID-19-Infektion abzubilden, beinhaltet die vorliegende Auswertung des WIdO gemäß den obenstehenden Definitionen sowohl das Long-COVID- als auch das Post-COVID-Syndrom. Ausgewertet wurden die entsprechenden Diagnosecodes, die ab Ende 2020 sukzessive eingeführt und damit auch in den arbeitsunfähigkeitsauslösenden Diagnosen dokumentiert wurden, sowie AU-Fälle mit dokumentierter Akut-COVID-19-Diagnose, die länger als 28 Tage andauerten. Kardiale, neurologische, psychische oder weitere Folgeerkrankungen nach einer COVID-19-Erkrankung, die nicht als Long-COVID oder Post-COVID klassifiziert wurden, blieben unberücksichtigt.