Die Geburt ist geschafft und das lang ersehnte Kind auf der Welt – dennoch bleibt die große Freude über das neue Familienmitglied aus. Wenn die Gefühle nach der Geburt nicht zu den Erwartungen passen, sind die Eltern verunsichert. Dabei erleben 50-80 Prozent aller Frauen in den ersten Tagen nach der Geburt einen sogenannten Babyblues [1]: Sie sind traurig, verstimmt, brechen scheinbar grundlos in Tränen aus. Während diese Phase bei den meisten Frauen nach einigen Stunden oder Tagen endet, entwickeln manche eine postpartale Depression, auch Wochenbettdepression genannt. Scham und Schuldgefühle sorgen dafür, dass die Erkrankung häufig unentdeckt bleibt. [2]

Depressionen können in allen Lebenslagen entstehen, auch in Situationen, die eigentlich mit Glück assoziiert werden. Entwickeln Frauen in den ersten vier Wochen bis zu 12 Monaten nach der Geburt eine Depression, so spricht man von einer Postpartum Depression (PPD), der Wochenbettdepression. [1, 3] Wird die Krankheit nicht behandelt, kann sie sowohl der Mutter als auch dem Kind langfristig schaden. Je nach Schwere der Erkrankung können Betroffene ihren alltäglichen Aufgaben nicht mehr nachkommen und keine Bindung zu ihrem Kind aufbauen. Im schlimmsten Fall kann die Depression der Mutter chronisch werden und das neugeborene Kind Bindungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten entwickeln. [3]

Wochenbettdepressionen bleiben häufig unentdeckt

In Europa ist etwa jede zwölfte Mutter von einer Wochenbettdepression betroffen. [4] Die Erkrankung ist also keine Seltenheit, wird aber dennoch selten thematisiert. Das idealisierte Bild der immer glücklichen, frischgebackenen Mutter erschwert den Betroffenen den Umgang mit ihren unerwarteten Gefühlen. Obwohl es sich bei der Wochenbettdepression um eine ernstzunehmende Erkrankung handelt, fühlen sich manche Frauen schuldig, weil sie ihrem Kind nicht die erwartete Zuneigung entgegenbringen können. [2]

Hinzu kommt, dass die Symptome der Wochenbettdepression meist erst auftreten, wenn die Frauen wieder zuhause sind. Gynäkologen, Kinderärztinnen und die Nachsorgehebamme können mögliche Symptome zwar erkennen und deuten, es ist jedoch schwer, in der kurzen Zeit während der Behandlungstermine psychische Störungen sicher zu erkennen. [3] Das soziale Umfeld spielt daher eine besonders wichtige Rolle.

Symptome erkennen und Mütter unterstützen

Neben der Betroffenen selbst können vor allem Familienmitglieder und Freunde helfen, eine mögliche Depression zu erkennen. Typische Symptome sind zum Beispiel eine gedrückte Stimmung, Müdigkeit und Schlafstörungen, Interessenverlust, aber auch Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld bis hin zu Suizidgedanken und -handlungen. [3]

Wichtig ist, mögliche Symptome nicht als Stimmungsschwankungen abzutun. Wenn die depressive Verstimmung schwerwiegend ist oder länger als zwei Wochen anhält, handelt es sich nicht um einen harmlosen Babyblues, sondern um eine ernstzunehmende Erkrankung. [3] Familie und Freunde können der Betroffenen helfen, indem sie auf die Möglichkeit einer Wochenbettdepression hinweisen und versuchen, ihr mögliche Schuld- und Schamgefühle zu nehmen. Professionelle Hilfe bieten Ärztinnen sowie Psychotherapeuten. Auch die Hebamme kann eine erste Ansprechpartnerin sein.

Einmal diagnostiziert kann eine Wochenbettdepression gut behandelt werden. Neben Psychotherapie erhalten die Betroffenen in schweren Fällen auch Antidepressiva. Bislang wird dafür hauptsächlich auf klassische Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zurückgegriffen, die aber erst nach etwa vier bis acht Wochen wirken. [5] Eine neue Option für Betroffene könnten orale neuroaktive Steroide sein, die den GABAA-Rezeptor beeinflussen. GABA (gamma-Aminobuttersäurerezeptoren) sind die wichtigsten Hemmstoffe des zentralen Nervensystems und können Vorgänge im Gehirn stoppen oder abdämpfen. [5] Dieser neue Behandlungsansatz könnte schneller wirken als die klassischen SSRI und den Betroffenen so in kürzerer Zeit eine sorgenfreiere Mutterschaft ermöglichen. [5]

[1] S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression, 2. Auflage, 2015. Version 5.

[2] Bundesministeriums für Gesundheit. Wochenbettdepression. 2020. Verfügbar unter: https://gesund.bund.de/wochenbettdepression. Abgerufen am 19.04.2022.

[3] Sonnenmoser. Postportale Depression: Vom Tief nach der Geburt. Deutscher Ärzte Verlag. 2016. Verfügbar unter: http://www.aerzteblatt.de/archiv/54466. Abgerufen am 19.04.2022.

[4] Shorey et al. Prevalence and incidence of postpartum depression among healthy mothers: A systematic review and meta-analysis. J Psychiatr Res. 2018 Sep;104:235-248. Verfügbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30114665/. Abgerufen am 20.07.2022.

[5] Gunduz-Bruce, Silber, Kaul, et al. Trial of SAGE-217 in Patients with Major Depressive Disorder. N Engl J Med 2019;381:903-11. Verfügbar unter: https://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJMoa1815981. Abgerufen am 20.07.2022.

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