Achtsamkeitstraining und zunehmende Achtsamkeit im Alltag sind wichtig, um unter anderem Stress und Überforderung zu mindern, zu bewältigen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. „Achtsamkeit bedeutet bewusst offen sein für das Erleben des aktuellen Moments, den Autopiloten abschalten, Gefühle wahrnehmen und beispielsweise realisieren, dass sich nicht alle Aufgaben und Probleme auf einmal erledigen und lösen lassen“, erklärt Christian Dreher. Der Ergotherapeut im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) hat das Konzept „Achtsamkeit erleben“ ausgearbeitet. Ein Manual und Arbeitsmaterialien begleiten das Programm, welches das Thema „Achtsamkeit“ leicht zugänglich macht, flexibel ist und sich für jeden Menschen bis hin zu psychisch belasteten Personen eignet.

Im Moment sein – das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Die meisten Menschen hängen mit ihren Gedanken häufig entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Oder sie tun mehrere Dinge gleichzeitig, mit der Konsequenz, bei nichts ganz dabei zu sein. „Jeder kennt das von sich selbst: Beim Frühstück läuft Radio oder Musik, gleichzeitig werden die Nachrichten auf dem Smartphone gecheckt“, schildert der Ergotherapeut Christian Dreher, wie viele ihren Tag im Autopilotmodus beginnen. Jeder weiß: Nichts ist wirklich hängengeblieben, weder wie das Frühstück geschmeckt hat, noch die weiteren Informationen und Nachrichten in ihrer Gänze und Fülle. Das Hin- und Her-Switchen macht, dass man nirgendwo richtig dabei ist. Achtsamkeit hingegen bedeutet im Gegensatz zum Autopiloten: Die Aufmerksamkeit dahin lenken, wo der- oder diejenige sie haben möchte. Also bewusst handeln und in Bewusstheit leben, eingefahrene Verhaltensweisen und Denkmuster aufweichen und in flexible Aktionen und Reaktionen transformieren.

Achtsamkeit heißt Neugierde wecken und offen sein

Mit diesem und ähnlichen Beispielen veranschaulicht der Ergotherapeut in seiner Gruppenintervention „Achtsamkeit erleben“ zunächst, wie viele ihren Alltag mit wenig Achtsamkeit erleben. Er erläutert die Elemente der Achtsamkeit und macht den Teilnehmenden Neugier schmackhaft und den Versuch, Dinge nicht zu bewerten. Dabei verweist er gleichzeitig auf die Schwierigkeit des Nicht-Bewertens. Eine geläufige Definition von Achtsamkeit beinhaltet das Element „nicht zu werten“, aber das kann dazu führen, dass Menschen denken, sie machen etwas falsch, wenn und weil sie etwas oder Andere bewerten. Aber niemand kann das vollständig abschalten, das Bewerten. Daher schlägt Dreher bei seiner ergotherapeutisch geprägten Gruppenintervention vor: „Besser ist, sich der Bewertung bewusst zu sein, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Bewertung, die der Kopf hier anstellt, etwas Eigenes, etwas Individuelles ist“. Und das zu akzeptieren und gleichzeitig dem gegenüber offen zu sein. Derart vorbereitet geht es an die erste Übung: in Gedanken gehen. Bei Dreher heißt das: sitzenbleiben und überlegen, was passiert, welche Bewegungen werden gemacht, was passiert im Körper, in den Beinen, der Hüfte, im Oberkörper und bei der Atmung. Danach wird die Theorie in die Praxis umgesetzt. Achtsames Gehen im Raum mit dem Ziel zu gehen, sprich: nicht um anzukommen, sondern um wahrzunehmen. Was tun die Füße, was der Rest des Körpers? Im Anschluss daran ist Reflexion unter Anleitung des Ergotherapeuten angesagt. Was hat der beziehungsweise die Einzelne erlebt, wo ist das „echte“ Gehen von der Vorstellung von Gehen abgewichen? Es geht darum, die Erfahrung zu schärfen und die Neugierde zu wecken, die Offenheit zuzulassen. Und zu besprechen: Wie erleben die Teilnehmenden Altbekanntes? Eine Erkenntnis, die alle teilen: Mit Neugierde oder Forschergeist ist eine neue Sichtweise möglich und der „Forschermodus“ garantiert quasi die Achtsamkeit.

Dank Achtsamkeit den Alltag entschleunigen

Was bringt das? „Achtsamkeit und auf den aktuellen Moment fokussiert zu sein, beschränkt die Anforderungen an uns selbst“, sagt der Ergotherapeut Christian Dreher und greift zurück auf ein weiteres Beispiel. Wer etwa beim Joggen bereits beim Start an die komplette Strecke denkt, die es zu bewältigen gilt, schafft sich „einen Berg“ im Kopf, fragt sich, ob er das Ziel erreichen kann. Wem es hingegen gelingt, die Aufmerksamkeit auf den Körper zu lenken, ist eher beim aktuellen Erleben – bei dem Schritt, den er gerade macht. Zeigen sich etwa die ersten Anzeichen von Überanstrengung, kann die Person direkt reagieren und das Tempo drosseln, bis Puls oder Atmung sich wieder normalisieren. „Es ist eine ausgezeichnete Methode, eine Moment-für-Moment-Wahrnehmung zu etablieren; so lassen sich alle Aufgaben im eigenen Tempo und mit den gegebenen Befähigungen erledigen, ohne sich zu überfordern“, bestätigt der Ergotherapeut, wie es glückt, dank Achtsamkeit entspannter erfolgreich zu sein und die Aufgaben des täglichen Lebens leichter zu bewerkstelligen. „Vieles ist Kopfsache“, erklärt der Ergotherapeut. Auch dies gehört zu seinem Gruppenkonzept für mehr Achtsamkeit: Das Thema „Innerer Beobachter“ dreht sich um die Vorteile, innere Ereignisse zu beobachten, statt sie zu nah an sich ranzulassen. Dabei spielen Gedanken eine wichtige Rolle. Der Ergotherapeut führt den Teilnehmenden hier vor Augen, dass die Gedanken nicht die Realität, sondern eben nur Gedanken sind, die im Kopf entstehen. Er versetzt die Teilnehmenden in die Lage, sich diesen Status von Gedanken immer wieder bewusst zu machen und dadurch einen wesentlich entspannteren Umgang mit dem eigenen Kopfkino zu entwickeln.

Themen der ergotherapeutischen Gruppenintervention „Achtsamkeit erleben“

Die Themen, die Christian Dreher und weitere geschulte Ergotherapeut:innen in flexibler Abfolge anbieten, sind neben dem erwähnten „Autopiloten“, der zwei Einheiten belegt, und dem „Inneren Beobachter“ eine Einheit „Aktueller Moment“. Die Teilnehmenden dieser ergotherapeutischen Gruppenintervention üben, sich auf den Moment zu fokussieren, im Kopf nicht so sehr in Vergangenheit und Zukunft abzuschweifen. Das Thema „Erlebnisbereitschaft“, bei dem es um Offenheit, Neugierde und Wahrnehmung geht, erstreckt sich über drei Einheiten; hinzu kommt eine Einheit „Akzeptanz“. Das Thema „Selbstmitgefühl“ reißt Dreher in einer Einheit lediglich an, um Impulse und Denkanstöße zu geben, denn dieses Thema sollte bei Bedarf vertieft und umfänglich bearbeitet werden. Wer nicht gut mit sich selbst umgeht, nicht auf innere Signale hört, riskiert eine Überforderung, was zu psychischen Belastungen und Erkrankungen führen kann. Auch wenn der Ergotherapeut diesem wichtigen Thema nur eine Interventionseinheit widmet, so macht er den Teilnehmenden in dieser Zeit auf jeden Fall bewusst, welche Rolle Gefühle spielen und wie wichtig es ist, sie wahrzunehmen. „Gefühle wollen gefühlt werden“, zitiert der Ergotherapeut Christian Dreher eine psychologische Erkenntnis, die denjenigen, die vor bestimmten Gefühlen am liebsten davonlaufen möchten und sie daher unterdrücken, zunächst nicht gefällt.

Für mehr Achtsamkeit die eigenen Gedanken und Gefühle besser kennenlernen

Gefühle sind Signale, die den Menschen zu etwas bewegen wollen. Bestimmte Gefühle, insbesondere Angst, hatten vor Urzeiten den Sinn, das eigene Leben zu erhalten. „Being Lunch or having Lunch – fressen oder gefressen werden“: dafür war Angst, etwa vor dem Säbelzahntiger, ein lebenswichtiges Gefühl. Dieses Gefühl der Angst ist jedoch nach wie vor in sehr alten Anteilen des menschlichen Gehirns verankert und so kommt es dazu, dass dieses Gefühl entsteht, obwohl in der Realität keine wirkliche Gefahr droht. Es sind lediglich die Gedanken, die den Menschen ängstigen und im schlimmsten Fall zu Angststörungen führen. Das Perfide ist jedoch, dass, setzt man sich nicht mit diesen Gefühlen auseinander, unterdrückt man sie, hält man sie aufrecht und sie können sich sogar verschlimmern. Alle Gefühle kommen immer wieder, so lange, bis der oder die Betroffene anfängt, auch die unangenehmen Gefühle auszuhalten. Das Nicht-Aushalten, das Unterdrücken oder Wegdrücken von Gefühlen hat ein Abstumpfen zur Folge. Jedoch nicht nur das Abstumpfen gegenüber der Angst oder anderen unangenehmen Gefühlen, sondern ein generelles Abstumpfen. Auch die schönen Gefühle flachen ab. Achtsamkeit ist daher auch an dieser Stelle wichtig: wahrnehmen, welche Gefühle kommen gerade auf und wie gehe ich damit um, wie kann ich sie fühlen und mit ihnen leben, statt sie zu verdrängen und zu vermeiden. Letzteres ist nur sinnvoll, um Schlimmeres – etwa selbstschädigendes Verhalten – zu verhindern. „All das erfordert kontinuierliches Training, „Achtsamkeit erleben“ kann dafür eine Grundlage sein.“, fasst der Ergotherapeut Christian Dreher zusammen und betont abschließend, dass alle Übungen und Veränderungen alltagspraktisch und alltagstauglich sind, einem wichtigen ergotherapeutischen Grundsatz folgend. Das Programm, das ursprünglich für psychisch erkrankte Menschen konzipiert wurde, kann im medizinischen Kontext beispielsweise Teil einer stationären oder teilstationären Behandlung durch Ergotherapeut:innen sein. Gleiches gilt für den Einsatz in der Arbeitsrehabilitation, Tagesstätten oder Wohneinrichtungen oder bei einer durch Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen verordneten psychisch-funktionellen Behandlung. Darüber hinaus ist diese Form des Achtsamkeitstrainings ein für Unternehmen adäquates Tool im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements.

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