Kinder lieben Bewegung. Doch je älter sie werden, desto mehr schrumpft ihr aktives Tagesmaß. Für eine gesunde Entwicklung des Rückens und des ganzen Körpers ist das Spiel der Muskeln jedoch unabdingbar. Die Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. ist überzeugt: höchste Zeit, dieses Thema verstärkt in den Fokus zu rücken. Ein Hüpfer auf die Steinmauer an der Einfahrt, balancieren über den Baumstamm im Wald, der Sprint zum Spielplatz. Wer mit Kindern unterwegs ist, kennt ihren Bewegungsdrang. Es ist ein angeborenes Verhalten. „Mit dem Schuleintritt ändert sich das leider“, weiß Detlef Detjen, Geschäftsführer bei der Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. „Kinder werden nicht nur ,ein-geschult‘, sondern auch ,ein-gestuhlt‘, denn die größte Problematik nach der Einschulung ist die deutliche Zunahme an Sitzzeit. „Nach einer Studie der Universität Heidelberg sitzen Grundschulkinder bis zu zehn Stunden am Tag.“ Erst in der Schule, später bei den Hausaufgaben und oftmals auch in der Freizeit, wenn digitale Medien genutzt werden. „Das stellt ein großes Gefährdungspotenzial für gesunde Entwicklungsprozesse als Ganzes dar. Je mehr Zeit Kinder und Jugendliche vorm Bildschirm verbringen, desto weniger Zeit bleibt für entwicklungsfördernde Bewegungsreize“, warnt der Sportwissenschaftler Dr. Dieter Breithecker.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, dass sich Kinder mindestens eine Stunde am Tag bewegen – ganz gleich, ob es Sport, Toben oder ausgelassenes Spielen ist. Dieses Tagesmaß erfüllen weltweit allerdings nur etwa ein Fünftel der Kinder. Für Rücken und Körperhaltung ist das eine schlechte Nachricht: Zu wenig Bewegung lässt die Muskeln verkümmern, Übergewicht und Haltungsschäden können die Folge sein. Die gute Nachricht: Aktivität hilft! Muskulatur, Knochen und Wirbelsäule zu stärken, beugt Rückenproblemen vor und fördert eine gesunde Haltung. „Bewegungsanreize und ergonomische Verhältnisse, die auf die physiologischen Erfordernisse von Kindern zugeschnitten sind, sind für uns und die Aktion Gesunder Kinderrücken wichtig“, sagt Detjen. Dem schließt sich Breithecker an: „Es ist wichtig, den Kindern genau dafür Freiräume zu geben.“ Eltern, die bei ihrem Nachwuchs von Anfang an auf Ergonomie achten, legen damit einen wichtigen Grundstein für ein rückengesundes Leben.

Ergonomisch ins Leben getragen

Wenn das Kind auf die Welt kommt, hat es noch einen hohen Knorpelanteil und auch die Muskulatur muss erst noch trainiert und kontrolliert werden. Die Wirbelsäule richtet sich im Laufe des ersten Lebensjahres zur doppelten S-Form auf. Um dies zu unterstützen, sollten Eltern sich daher bei ihrem Nachwuchs von Anfang an mit der ergonomischen Trageweise befassen, empfiehlt Katrin Ritter, Hebamme, Trage-, Schlaf- und Entwicklungsexpertin bei der Firma Ergobaby Europe: „Unsere Babys werden als aktive Traglinge geboren und passen perfekt auf die elterliche Hüfte bzw. den Körper. Das ergonomische Tragen ist ein echter Alleskönner und eine großartige Entwicklungsförderung“, sagt Ritter. „Es hilft bei der Aufrichtung der Wirbelsäule und bahnt Bewegungen an, es aktiviert und fördert das Gleichgewicht, die Koordination und Abstützreaktion der Hände.“ Das Tragen stimuliert zudem die Symmetrie, bringt Schulter- und Hüftgelenke in Mittelstellung und kräftigt die Muskulatur. Von Geburt an zu tragen entspricht der kindlichen Anatomie und stärkt die Eltern-Kind-Bindung. „Wichtig ist, dass eine Baby-Komforttrage sowohl auf das Kind als auch auf den Träger anpassbar ist, um beide Rücken zu schonen und Schmerzen vorzubeugen“, erklärt AGR-Experte Detjen. Dabei helfen einstellbare, gut gepolsterte Schultergurte, eine komfortable Lordosenstütze für die Eltern und unterschiedliche Passformen. Gepolsterte Beinbereiche, eine verstellbare Kopfstütze und das Ermöglichen der ergonomischen Anhock-Spreiz-Haltung sind dabei wichtig, denn so wird die natürliche Entwicklung von Wirbelsäule und Hüfte des Kindes unterstützt. „Es ist sinnvoll, dass sich Eltern nach der Geburt von einer fachlich weitergebildeten Hebamme oder Trageberaterin individuell, bedarfsgerecht und kompetent beraten lassen“, empfiehlt Ritter. „Außerdem gibt es allgemeingültige Empfehlungen und Kriterien für ergonomische Tragehilfen.“

Positionswechsel und Babywippen

Generell ist ein variantenreiches Tragen von Vorteil für die Entwicklung. Da spricht laut Ergobaby-Expertin auch nichts gegen die ergonomische Fronttrageweise, wenn das Baby sich in einer natürlichen Anhock-Spreiz-Haltung und gesunder Rückenhaltung befindet. Das Tragen mit Blick nach vorne ist ab etwa sechs Monaten möglich. Ritter: „Das Kind sollte in dieser Position wach, aufmerksam und zufrieden sein. Dann bietet sie den Eltern eine gute Möglichkeit, in einer reizarmen Umgebung, wie im Haushalt oder Garten, etwas gemeinsam zu tun oder komfortabel mit dem Kind am Esstisch oder im Restaurant zu sitzen – je nach Alter des Kindes für circa 10-30 Minuten am Stück.“ Ein ähnlicher Zeitrahmen gilt für die Babywippe, die als praktischer Alltagshelfer für zwischendurch dient. Sie sei keine Dauerablage und dann empfehlenswert, wenn sie alle Anforderungskriterien an Ergonomie und Rückengesundheit nach AGR erfülle, erläutert Ritter. Ein ergonomischer Neugeborenen-Einsatz, der von Kopf bis Oberschenkel altersgerecht stützt, eine gesunde Anhock-Spreiz-Haltung der Beine und frei bewegliche Füße ermöglicht, ist auch bei der Babywippe wichtig. Ebenso sollte eine gesunde Kopfhaltung, die das Kinn nicht auf die Brust drückt und die Drehung des Kopfes zulässt, möglich sein.

Rückengesund im Automobil

Für Wege mit dem Auto müssen Babys oder Kleinkinder in einem Autokindersitz Platz nehmen. Dieser sollte nicht nur Sicherheitsaspekten genügen, sondern auch die Ergonomie berücksichtigen. „Es ist wichtig, von Anfang an einen Autokindersitz zu wählen, der das Kind optimal unterstützt, aber auch genügend Bewegungsfreiraum bietet“, sagt Detjen. „Die Sitze müssen sich dem wachsenden Kind anpassen lassen, indem Einsätze und Kissen beispielsweise herausnehmbar sind und die Kopfstützenhöhe verstellbar ist.“ Sinnvoll ist für die Kleinsten ein Neugeboreneneinsatz, der sich für die ersten vier Lebensmonate eignet und einen zusätzlichen Seitenhalt sowie einen flachen Sitzwinkel bietet. Babyschalen sind ohne Ausnahme immer entgegengesetzt der Fahrtrichtung anzuwenden. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst Kleinkinder in dieser Position sicherer unterwegs sind. Detjen: „Im Fall eines Unfalls verteilen rückwärtsgerichtete Kindersitze, sogenannte Reboarder, die Aufprall-Energie gleichmäßig über den Rücken des Kindes. Die Sitze wirken zudem wie ein Schutzschild und stützen Kopf und Hals“, sagt der AGR-Experte. Das heißt, selbst wenn der Nachwuchs älter als 15 Monate ist, sollte er nach der i-Size-Norm am besten rückwärts ausgerichtet mitfahren, optimalerweise bis zu einem Alter von vier Jahren.

Kinderrücken auf der Leipziger Fachmesse

„Fakt ist: Selbst die besten Kindersitze erlauben nicht die aus ergonomischer Sicht perfekte, völlige Bewegungsfreiheit des Kindes. Das ist ein grundsätzlicher Nachteil des Autofahrens“, sagt Detjen. „Auf längeren Strecken sollte man sich und seinen Kindern Pausen und etwas Bewegung gönnen.“ Wie sehr dem AGR das Thema Kinderrücken am Herzen liegt, wird auf der Fachmesse therapie LEIPZIG vom 4. bis 6. Mai 2023 deutlich. „Hier widmen wir uns auf über 80 m² mit einer Sonderschau dem gesunden Kinderrücken“, sagt Detjen. „Rückenschmerzen kennen kein Alter und ein Blick in die Wartezimmer von Orthopäden zeigt, dass Rückengesundheit schon bei Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Thema ist. Wir freuen uns über die Beteiligung von rund 20 Partnerunternehmen, die uns dabei unterstützen. Zudem gibt es auf der Aktionsfläche Mitmach-Optionen.“ Es lassen sich beispielsweise AGR-zertifizierte Produkte von der Babytrage über den Schreibtisch und den Stuhl bis hin zum Schulranzen vor Ort ausprobieren – erstmals auch ein neuer AGR-zertifizierter Autositz für den Rehabereich.

Ergonomie macht Schule

Spätestens ab dem Schulalter sollten Eltern darauf achten, dass ihre Kids in der Freizeit ausreichend aktiv sind. Je häufiger und vielseitiger, desto besser für ihre körperliche, geistige und psychische Entwicklung. Es braucht den Ausgleich für die steigende Sitzzeit ab der Grundschule. „Überbelastungen wie stundenlanges Sitzen sind dringend zu vermeiden. Wenn Kinder sitzen, dann bitte auf Sitzobjekten, die eine mehrdimensionale Beweglichkeit als Funktion aufweisen. Denn der intrinsische Bewegungsdrang kann sich dann auch im Sitzen entfalten“, empfiehlt Dr. Breithecker. Ebenso helfen in der Schule mobile Stehpulte oder Stehinseln. Eine Veränderung der Körperhaltung oder kurzes Sitzen auf dem Boden wirken Wunder. Wenn Kinder auf ihren Stühlen hin- und her rutschen oder kippeln, deuten die Erwachsenen dies meist falsch als hyperaktiv, weiß AGR-Experten Detjen: „In den meisten Fällen ist es ein gesunder und spontan ausgelebter Bewegungsdrang. Wir können von den Sitzverhaltensweisen der Kinder lernen. Wir brauchen Sitzmöbel, die für die Bewegung gemacht sind und nicht für starres Verweilen!“

Was den Ranzen erträglich macht

Ergonomie beginnt bereits, wenn die Kids zur Schule gehen. Damit keine Rückenprobleme entstehen, lohnt es sich, beim Kauf von Ranzen oder Rucksack ein paar Aspekte zu berücksichtigen: Das Rückenteil sollte zum Beispiel ergonomisch geformt, rutschfest und anschmiegsam sein. „Damit der Schulrucksack nah am Körper sitzt, braucht dieser einen Hüftgurt mit gepolsterten Beckenflossen. Für Schulranzen wäre das ebenfalls empfehlenswert“, erklärt Detjen. Neben dem Probetragen durch das Kind ist später auch das richtige Packen wichtig: Schwere Dinge gehören nah an den Rücken – eine entsprechende Fächeraufteilung ist dafür ideal. Wie schwer der Schulbegleiter sein darf, hängt vom Kind ab: Ist es gesund und fit, kann es bedenkenlos 20 Prozent seines Körpergewichts tragen (nach Kid-Check Studie der Universität des Saarlandes). Seitliche Erhöhungen oder Beckenflossen helfen dabei, dass der treue Begleiter nicht verrutscht. Gepolsterte, atmungsaktive und etwa vier Zentimeter breite Schultergurte verteilen das Gewicht optimal auf die Schultern. Ein Brustgurt hält ihn an Ort und Stelle, auch wenn die Kids mal rennen. „Bewegung ist der Motor kindlicher Entwicklung und die unentbehrliche Voraussetzung für ihre körperlich-geistige Entwicklung“, fasst Dr. Breithecker zusammen.

Checkliste für einen gesunden Kinderrücken im Alltag

  • Ausreichend Zeit fürs Toben und Spielen im Freien einplanen

  • Zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein

  • Ein bewegungsreiches Hobby anbieten

  • Weniger Medienkonsum, mehr Zeit in der Natur

  • Rückenfreundliche Produkte nutzen

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