Über das Lebensende, Sterben und den Tod zu sprechen ist oftmals schwierig – kann älteren pflegebedürftigen Menschen aber wichtig sein. In einer aktuellen Studie berichteten 85 Prozent der pflegenden Angehörigen, mit entsprechenden Gesprächen konfrontiert zu sein. Etwa jede sechste befragte Person aus dieser Gruppe gab an, solchen Austausch als belastend zu empfinden.

Lebensende, Sterben und Tod sind sensible Themen. Für ältere pflegebedürftige Menschen kann es dennoch oder gerade deshalb wichtig sein, hierüber zu sprechen. Angehörige sind für sie oft zentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, wenn es zum Beispiel um Sorgen, Wünsche und Regelungen rund um das Lebensende geht. Auch der Wunsch, bald zu sterben, kann dabei zur Sprache kommen – oder sogar die Bitte nach Hilfe zum Suizid. Eine neue bundesweite Studie vom Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) und dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) geht der Frage nach, was die Konfrontation mit diesen Themen für pflegende Angehörige bedeuten kann. Der Vorstandsvorsitzende des ZQP, PD Dr. Ralf Suhr, erklärt, warum er die Untersuchung für wichtig hält: „Immer wieder berichten Angehörige davon, dass sie bedrückende Gespräche zum Beispiel mit ihren pflegebedürftigen Eltern über Fragen zum Lebensende führen. Zum Teil geht es dabei auch um Lebensmüdigkeit oder sogar Suizidalität. Oft wissen die Angehörigen nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie sich von entsprechenden Äußerungen oder Gesprächen überfordert fühlen. Darum wollten wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm untersuchen, welches Bild eine systematische bundesweite Befragung pflegender Angehöriger zu diesem Themenfeld ergibt.“

In der Studie gaben 41 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, dass sie eine Konfrontation mit Gedanken oder Fragen zum Lebensende, Sterben oder Tod des älteren pflegebedürftigen Menschen in einem gewissen Umfang belaste. Von diesen wünschten sich 34 Prozent kompetente professionelle Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner, die dazu beraten, wie man Gespräche zu entsprechenden Themen führen und mit den eigenen Gefühlen dabei umgehen kann. Dies erscheint auch deswegen bedeutsam, weil 85 Prozent der Befragten berichteten, die pflegebedürftige Person habe ihnen gegenüber bereits Aspekte des Themenfelds Lebensende, Sterben und Tod unmittelbar angesprochen. Aus dieser Gruppe nahm etwa jeder bzw. jede Sechste (17 Prozent) entsprechende Gespräche als zum Teil belastend wahr – 7 Prozent hatten sogar das Gefühl, sie und die pflegebedürftige Person würden sich dabei gegenseitig oft nicht richtig verstehen.

Zudem kann das Themenfeld Lebensmüdigkeit und Suizidalität gerade auch im Kontext Alter und Pflegebedürftigkeit eine Rolle spielen. Stark nachlassende körperliche oder geistige Fähigkeiten, chronische Schmerzen, Verluste von nahestehenden Personen oder Konflikte mit ihnen sowie Einsamkeit können zu Lebensmüdigkeit und Suizidalität beitragen. Ein relevanter Risikofaktor für Suizidalität ist Depression – eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter. Die Suizidrate in der Altersgruppe 70 plus ist überproportional hoch. Insbesondere bei älteren pflegebedürftigen Menschen könnte zudem die Dunkelziffer von Selbsttötungen nicht unerheblich sein, da diese möglicherweise gar nicht als solche wahrgenommen und folglich nicht erfasst werden.

Vor diesem Hintergrund wurden In der Studie die Angehörigen auch nach Äußerungen der pflegebedürftigen Person gefragt, die Anhaltspunkte für Lebensmüdigkeit bis hin zu Suizidalität sein können. Rund die Hälfte der Befragten (49 Prozent) erinnerten mindestens eine Äußerung in den letzten 3 Monaten, die ein Anhaltspunkt für Gefühle der pflegebedürftigen Person im Spektrum von Lebensmüdigkeit bis Suizidalität sein kann. So sagten über ein Viertel (27 Prozent) der Befragten, die pflegebedürftige Person habe geäußert, dass sie sich „allgemein recht nutzlos fühlt“. Ebenfalls 27 Prozent gaben an, sie „wünscht sich des Öfteren einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen“. 18 Prozent war in Erinnerung geblieben, sie meint, „ihr Leben wäre nicht mehr bedeutsam“. 6 Prozent war die Aussage präsent geblieben, die pflegebedürftige Person würde „ihr Leben gerne beenden“. „Sie hätte gerne zeitnah Hilfe, ihr Leben selbst zu beenden“ war 3 Prozent im Gedächtnis geblieben und „sie wünscht sich, dass ihr jemand zum Beispiel zeitnah ein Mittel verabreicht, das zum Tode führt“ hatten sich 2 Prozent gemerkt. Über ein Fünftel (22 Prozent) der Teilnehmenden gab dabei an, dass ihm zwei oder mehrere solcher unterschiedlichen Aussagen von der pflegebedürftigen Person jeweils mindestens einmal in den zurückliegenden drei Monaten zu Ohren gekommen sei.

Der Sprecher der Arbeitsgruppe „Alte Menschen“ des Nationalen Suizidprogramms für Deutschland (NaSPro) Dr. Uwe Sperling weist auch vor diesem Hintergrund auf die Bedeutung von Suizidprävention bei pflegebedürftigen Menschen hin: „Lebensmüdigkeit, Suizidalität oder auch das Verlangen nach assistiertem Suizid sind auch bei älteren Menschen mit Pflegebedarf ernstzunehmende Hinweise darauf, dass im Erleben und in der Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Belastungen Grenzen erreicht werden, an denen Hilfe und Beziehung gebraucht werden. Im Sinne der Suizidprävention sind Maßnahmen zu ergreifen, welche die betreffende Person unmittelbar unterstützen, ihr professionelles und persönliches Umfeld stärken und mit denen auf gesellschaftlicher Ebene Wertschätzung und Teilhabe erfahrbar werden. Das Training von Gatekeepern und die Förderung des offenen Diskurses über mögliche Belastungen im hohen Alter sind zwei Beispiele für solche Maßnahmen.“

Des Weiteren zeigt sich in der Analyse der Daten ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Äußerungen pflegebedürftiger Menschen, die dem Bereich von Lebensmüdigkeit oder Suizidalität zugerechnet werden können, und dem Belastungsempfinden pflegender Angehöriger: In der Gruppe derjenigen Befragten, die sich an entsprechende Äußerungen der pflegebedürftigen Person erinnerten, gaben beinahe zwei Drittel (64 Prozent) an, durch die Pflegesituation belastet zu sein. Das sind rund 18 Prozentpunkte mehr als in der Gruppe, die sich an keine solche Äußerungen erinnerte. Dr. Simon Eggert, Leiter der Studie beim ZQP erklärt: „Für pflegende Angehörige kann es eine große Herausforderung sein, mit Lebensmüdigkeit oder Suizidalität zum Beispiel eines pflegebedürftigen Elternteils umzugehen. Sie sind damit zum Teil über Jahre konfrontiert. Entsprechend kann das die Belastungen in der Pflegesituation erhöhen.“ Neben geeigneten Maßnahmen zur Prävention von Lebensmüdigkeit und Suizidalität bei pflegebedürftigen Menschen sind demnach auch passende Unterstützungsangebote für Angehörige wichtig.

 

Zur Methodik der Studie

Für die Studie wurden 1.000 Personen ab 45 Jahren, die als pflegende Angehörige gelten können, zu Art und Umfang der geleisteten Unterstützung und den damit verbundenen Belastungen bei der Pflege Angehöriger befragt sowie zu Aspekten aus dem Themenfeld Lebensende, Sterben und Tod – einschließlich Lebensmüdigkeit bzw. Suizidalität. Dabei wurden Personen berücksichtigt, die eine pflegebedürftige Person – im Sinne des SGB XI – ab 60 Jahren seit mindestens sechs Monaten in deren Alltag unterstützen.

Da Fragen mit Bezug zum Lebensende, Sterben, Tod sowie insbesondere Suizidalität für die Befragten belastend sein können, wurde der Fragebogen eingehend im Expertenkreis abgestimmt. Zudem waren eine umfassende Erklärung verbunden mit Ausstiegsoptionen sowie Hinweisen zu Unterstützungsangeboten feste Bestandteile der Befragung. Fragen, die sich direkt auf Themen wie Depression oder Suizidalität bei der befragten Person beziehen, wurden nicht gestellt.

Die Befragung wurde vom 13. bis 30. September 2022 durchgeführt. Grundlage ist ein bevölkerungsrepräsentatives, aktiv per Telefon rekrutiertes Online-Panel mit über 100.000 Personen ab 14 Jahren. Die Antwortskalen bestehen zum Teil aus vier- und fünfstufigen Skalen sowie nominalen Skalen, ergänzt um die Antwortkategorie „weiß nicht“. Die Skalen wurden vorab nicht validiert, orientieren sich aber größtenteils an etablierten Skalen. Die Gewichtung der Ergebnisse erfolgte bevölkerungsrepräsentativ nach Geschlecht und Alter der befragten Person, auf Grundlage der aktuellen Erhebung im Deutschen Alterssurvey (DEAS) (Deutsches Zentrum für Altersfragen, FDZ, 2022). Der höchste Gewichtungswert ist 1,79. Die statistische Fehlertoleranz in Bezug auf die Gesamtstichprobe liegt bei +/- 3 Prozentpunkten.

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