Rund 70 Prozent der Schlaganfall-Betroffenen sind in der häuslichen Nachsorge nicht ausreichend versorgt. Zum Welt-Schlaganfalltag am 29. Oktober veröffentlicht die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe die Ergebnisse einer großen Befragung.
Erste Befragung ihrer Art
Wie es Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten in der Klinik ergeht, ist statistisch gut belegt. Doch wie sie Jahre später mit den Folgen der Erkrankung leben, wird nicht erfasst. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe befragte rund 1.000 Betroffene aus ganz Deutschland zu ihrer Situation. Es ist die erste, groß angelegte Patientenbefragung dieser Art in der Schlaganfall-Nachsorge. Im Durchschnitt lag der Schlaganfall der Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Befragung bereits neun Jahre zurück.
70 Prozent wünschen sich mehr Hilfe
Die Ergebnisse sind ernüchternd. Ein Großteil der Betroffenen hat auch Jahre nach dem Schlaganfall mit seinen Folgen zu kämpfen. Dabei beklagen viele mangelnde Unterstützung. 70 Prozent der Teilnehmenden wünschen sich in mindestens einem Bereich mehr Hilfe, die meisten (51 Prozent) bei den körperlichen Folgen des Schlaganfalls. Und zwar unabhängig davon, ob der Schlaganfall kürzlich geschah oder bereits Jahre zurückliegt. Deutlich wird auch: der Schlaganfall bewirkt tiefe soziale Einschnitte. „Wenn ich durch körperliche Beeinträchtigungen in meiner Mobilität eingeschränkt oder auf Hilfe angewiesen bin, wird es schwierig, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen“, sagt Pflegewissenschaftler Christian Voigt, Versorgungsforscher der Schlaganfall-Hilfe.
Therapien und Rehamaßnahmen fehlen
41 Prozent der Befragten gaben an, sie benötigten mehr Therapien oder Rehabilitationsmaßnahmen, als sie erhalten. 33 Prozent kämpfen mit den psychischen Beeinträchtigungen und wünschen sich mehr Unterstützung bei deren Bewältigung. Und 28 Prozent benötigen mehr Hilfe bei der Einstellung ihrer Risikofaktoren, also im Umgang mit ihrer Medikation oder bei der Umstellung ihres Lebensstils – die wichtigste Maßnahme, um einen wiederholten Schlaganfall zu vermeiden.
Häufigste Ursache für Behinderungen
Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter. Oft kommt es zu einer halbseitigen Lähmung. Betroffene müssen Funktionen wie das Gehen oder Greifen durch intensive Physio- und Ergotherapie mühsam wieder erlernen. Bis zu 80 Prozent der Betroffenen erleiden nicht sichtbare Beeinträchtigungen wie Sprach- oder Aufmerksamkeitsstörungen. Sie benötigen Logopädie oder neuropsychologische Unterstützung.
Betroffene sind überfordert
„Dass so viele Menschen so lange nach dem Schlaganfall Probleme haben, die Folgen ihrer Krankheit zu bewältigen, hätte ich nicht erwartet“, kommentiert Christian Voigt von der Deutschen Schlaganfall-Hilfe die Studie. Viele Betroffene und ihre Angehörigen seien mit der Organisation ihrer Nachsorge ganz offensichtlich überfordert. „Man muss sich nur einmal in die Situation von Schlaganfall-Betroffenen hineinversetzen. Deren Leben wird von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt“, erklärt Voigt. „Und in dieser Situation muss man sich intensiv mit dem Gesundheitssystem auseinandersetzen. Das schaffen viele nicht.“
Keine strukturierte Nachsorge
Die Ergebnisse der Befragung weisen deutlich auf eine Schwachstelle in der Schlaganfall-Versorgung hin. Im Notfall sind Schlaganfall-Betroffene in Deutschland gut versorgt. 348 zertifizierte Stroke Units (Schlaganfall-Spezialstationen) gewährleisten eine fast flächendeckende klinische Versorgung. Auch die neurologische Rehabilitation ist heute sehr leistungsfähig. Doch in der anschließenden häuslichen Nachsorge gibt es keine strukturierten Behandlungsprogramme. Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe setzt sich deshalb gemeinsam mit vielen Partnern für die Einführung von Patientenlotsen in die Regelversorgung ein. Sie begleiten Betroffene und ihre Angehörigen durch das erste Jahr nach der Erkrankung, bis diese in der Lage sind, ihre Versorgung selbst zu organisieren.