Eine aktuelle Repräsentativstudie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz stellt „alarmierende Symptome eines psychischen Unwohlseins“ durch die Mediennutzung fest. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Viele Menschen zeigen im Zusammenhang mit ihrem digitalen Medienhandeln ernste Symptome von Überforderung und Stress. Die Ergebnisse zeigen aber auch: Angesichts eines zunehmenden sozialen und medialen Drucks in Krisenzeiten suchen Betroffene gezielt nach Ausgleichsmöglichkeiten. Der Bedarf an digitalen Resilienzstrategien hat stark zugenommen.

Corona-Pandemie, Klimawandel, Migration und Krieg in der Ukraine: Nachrichten sind in Krisenzeiten wichtiger denn je. Dennoch steigt die Herausforderung, wie Medien einen geeigneten Umgang mit der Frustration und der Informationsüberlastung des Publikums finden. Auf Basis einer beim führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegebenen Repräsentativbefragung in deutschen Haushalten haben Dr. Leif Kramp (ZeMKI, Universität Bremen) und Dr. Stephan Weichert (VOCER Institut für Digitale Resilienz) den Zusammenhang von digitaler Mediennutzung und psychischem Wohlbefinden untersucht.

„Es ist beunruhigend zu wissen, wie viele Menschen in Deutschland sich derzeit von digitalen Medien abwenden, weil sie angesichts des permanenten Nachrichtenstroms überfordert oder erschöpft sind“, sagt Medienwissenschaftler Dr. Stephan Weichert, der die Studie gemeinsam mit Dr. Leif Kramp geleitet und durchgeführt hat. Auch wenn während der Pandemie ein starker Zuwachs an digitaler Kommunikation zu verzeichnen gewesen sei, erlebe die Mehrheit der Deutschen das Online-Sein derzeit als Belastung, so Weichert. „Die kurz aufeinander folgenden Krisen haben nunmehr dazu geführt, dass sich viele Menschen aufgrund ihres digitalen Medienkonsums ausgebrannt fühlen und diesen aus Selbstschutz zum Teil massiv einschränken.“

Als Ursache für den diagnostizierten „digitalen News-Burnout“ machen die Medienforscher unter anderem das rückläufige Vertrauen in digitale Medien, die eigene Hilflosigkeit der Bundesbürger gegenüber dem globalen Krisengeschehen und ein gestiegenes Unwohlsein durch die starke Präsenz von Social Media im Alltag fest: „In unruhigen Zeiten wollen viele Menschen gut informiert sein“, sagt Studienleiter Dr. Leif Kramp. „Aber viele populäre digitale Medienangebote – vor allem diffuse Quellen, die über soziale Netzwerke und Messengerdienste zirkulieren – lösen diesen Anspruch nicht ausreichend ein, geschweige denn helfen den Menschen dabei, mit der Krisensituation zurechtzukommen.“

Für die Grundlagenstudie hat das VOCER Institut für Digitale Resilienz in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa knapp 1.000 Bundesbürger zu 30 Aspekten ihrer digitalen Mediennutzungsgewohnheiten befragt. Zusätzlich wurden deutschlandweit circa 60 Tiefeninterviews mit Menschen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft geführt, um individuelle Fälle von digitaler Belastung und den Umfang mit ihr zu erfassen. Die vorgelegten Studienergebnisse belegen die digitalen Erschöpfungseffekte. Die Medienexperten sehen dringenden Handlungsbedarf: „Wir wollen mit unserer empirischen Forschung eine höhere Sichtbarkeit für den Aufbau individueller Widerstandskraft und Souveränität in der digitalen Mediennutzung erreichen“, sagt Dr. Leif Kramp. „Dazu gehört auch, dass digitale Medienanbieter den qualitativen Mehrwert ihrer Angebote nachhaltig steigern und sich dezidiert von anderen Inhalten abgrenzen müssen“, so Kramp.

„Gerade Netzwerke wie Facebook, Instagram, Twitter, TikTok und weitere Angebote sorgen für digitale Abhängigkeiten und können Suchtverhalten hervorrufen“, sagt Weichert. Der Krisenmodus hätte diese Fehlentwicklungen verschärft. „Es sollte künftig darum gehen, sich den bisher gängigen Mechanismen der Empörungs- und Eskalationslogik digitaler Medienangebote zu entziehen“, so Weichert. „Die Bewältigung von Krisen wird uns noch länger beschäftigen, deshalb möchten wir Medien und Politik für die gesundheitlichen Aspekte im Umgang mit der Digitalisierung sensibilisieren.“

So belegen die Studienergebnisse ein großes Interesse der Befragten an Gesundheitsthemen im Zuge der Corona-Pandemie. Neben einer grundsätzlich höheren Sensibilisierung für gesundheitsbezogene Informationen gehören dazu auch Fragen der Prävention und Gesundheitsförderung, etwa gesunde Bewegung und Ernährung sowie gesundheitliche Selbstoptimierung. Auch finden sich Hinweise auf eine verstärkte Online-Mediennutzung der 14- bis 29-Jährigen mit Bezug zum Pandemiegeschehen: Viele junge Menschen tauschen sich seitdem häufiger mit anderen Menschen online über aktuelle Entwicklungen aus, suchen im Internet nach Informationen zu ihrem unmittelbaren Lebensumfeld und konsultieren häufiger Online-Nachrichtenangebote. Allerdings meiden auch viele Deutsche seitdem Online-Nachrichten generell, weil sie diese zunehmend psychisch belasten.

„Die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit in diesen krisenschweren Zeiten ist ein Thema, zu dem wir uns als Gesamtgesellschaft verhalten müssen“, sagt Dr. Dennis Ballwieser, Chefredakteur der Apotheken Umschau und Geschäftsführer des Wort & Bild Verlags, Kooperationspartner im Rahmen der Studie. „Die Untersuchung des VOCER Instituts für Digitale Resilienz liefert erste wichtige Anhaltspunkte, wie Mediennutzende ihre Resilienz in Bezug auf ihr digitales Medienhandeln steigern können – und daran wollen wir als Medienhaus für Gesundheitsthemen nach Kräften mitwirken“, so Ballwieser.

Resilient durch schwierige Zeiten zu kommen, entwickelt sich zur Metakompetenz in der digitalen Mediengesellschaft. Sie sei aber auch zentral für die „Ausgestaltung eines demokratiefähigen Gemeinwesens“, so die Studienautoren. Dass viele Menschen von der Nutzung digitaler Medien gestresst sind, hat auch Auswirkungen auf die Qualität öffentlicher Diskurse: „Wir sollten die Risiken der digitalen Überlastung für unsere Demokratie erkennen und entsprechende Grundlagen schaffen, damit unsere Gesellschaft resilienter werden kann“, so Kramp und Weichert: Sie plädieren dafür, systematisch Resilienzstrategien des digitalen Medienkonsums zu entwickeln, um gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Dazu gehörten vor allem der „Publikumsdialog, eine darauf aufbauende Vertrauensinitiative in professionelle Medien sowie eine selbstkritische Reflexion von digitaler Medienzeit und Smartphone-Nutzung“.

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