Beschäftigte, die ihrem Unternehmen eine hohe Sozialverantwortung bescheinigen, sind leistungsbereiter, zufriedener und gesünder. Das ist der zentrale Befund einer aktuellen Befragung im Rahmen des Fehlzeiten-Reports 2022, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) heute vorgelegt hat. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, betont: „Moderne Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber engagieren sich gesellschaftlich und übernehmen Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten, gerade auch in den aktuellen Krisenzeiten. Dagegen sind Unternehmen, die die Gesundheit ihrer Beschäftigten immer noch für deren Privatsache halten, längst old school.“
Helmut Schröder, Mitherausgeber des Fehlzeiten-Reports und stellvertretender Geschäftsführer des WIdO, erklärt: „Soziale Unternehmensverantwortung geht über die landläufige „Corporate Social Responsibility“, also dem fairen Umgang mit allen Beteiligten, dem gesellschaftlichen Engagement und dem Umweltschutz, hinaus. Verantwortungsvolle Unternehmen sollten die Gesundheit der Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren und nachhaltig in gesundheitsorientierte Führung sowie Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung investieren.“
Die repräsentative Befragung unter rund 2.500 Erwerbstätigen aus Februar/ März 2022, deren Ergebnisse im Fehlzeiten-Report veröffentlicht sind, zeigt: Je verantwortungsvoller die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Unternehmen empfinden, desto positiver bewerten sie ihre eigene Arbeitsmotivation und Gesundheit. Dabei wird der Zusammenhang vor allem in einem Vergleich deutlich: Bei den Beschäftigten, die ihrem Unternehmen eine besonders hohe Unternehmensverantwortung bescheinigen, geht dies bei 96,7 Prozent mit hoher Leistungsbereitschaft, bei 95,6 Prozent mit hoher Verbundenheit mit dem Unternehmen und bei 96,5 Prozent mit hoher Arbeitszufriedenheit einher. Umgekehrt sieht man in der Beschäftigtengruppe, die in ihrem Unternehmen eine niedrige Unternehmensverantwortung wahrnehmen, nur bei 76,4 Prozent eine hohe Leistungsbereitschaft, bei 60,6 Prozent eine hohe Unternehmensverbundenheit und bei 69,6 Prozent eine hohe Arbeitszufriedenheit.
Weniger Wut, Erschöpfung und Fehlzeiten
Ähnlich eindeutig sind die Zusammenhänge mit Blick auf gesundheitliche Beschwerden. Die Beschäftigtengruppe, die eine hohe Unternehmensverantwortung wahrnimmt, berichtet gleichzeitig über weniger emotionale Belastungen. So empfinden 86,1 Prozent dieser Gruppe keine oder nur ganz selten Wut und Verärgerung im Arbeitsleben. In der Beschäftigtengruppe, die ihren Unternehmen eine niedrige Verantwortung attestiert, sind es dagegen nur 45,1 Prozent – ein Unterschied von 41 Prozentpunkten. Bei psychosomatischen Beschwerden sind die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen ähnlich groß: bei Erschöpfung 30,2 Prozentpunkte und bei Schlafstörungen 26,4 Prozentpunkte. Bei den körperlichen Beschwerden ist die Differenz nicht ganz so extrem, gleichwohl noch deutlich. Bei Rücken- und Gelenkbeschwerden ergibt sich ein Unterschied von 20,8, bei Kopfschmerzen von 19,9 Prozentpunkten.
Diese Bewertung spiegelt sich auch in den Fehltagen. Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung als gut bewerteten, fehlten in den letzten 12 Monaten krankheitsbedingt 9,7 Tage. Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung als schlecht einstuften, waren dagegen 14,2 Tage krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Auskünften zum Präsentismus: Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung positiv bewerten, arbeiten deutlich seltener gegen den ärztlichen Rat als Beschäftigte, die ihr Unternehmen diesbezüglich negativ bewerten.
Schlüsselfigur Führungskraft
Soziale Unternehmensverantwortung beginnt bei den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deshalb spielen Führungskräfte eine Schlüsselrolle. Dementsprechend bescheinigt die Beschäftigtengruppe, die ihrem Unternehmen die höchsten Werte für gesellschaftliches Engagement und fairen Umgang zumisst, auch ihrer Führungskraft mehr positiven Umgang, Stresssensibilität und Gesundheitsorientierung als in der Vergleichsgruppe.
Der Mitherausgeber und Studienautor Schröder empfiehlt Unternehmen deshalb, das Betriebliche Gesundheitsmanagement zu intensivieren. „Die aktuellen Krisen führen häufig zu einem Stresstest in der Beziehung zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten. In dieser Situation können Mitarbeitendenbefragungen und Arbeitsunfähigkeitsanalysen den Dialog zwischen Unternehmensleitung, Führungskräften und Mitarbeitenden stärken. Nur so werden gemeinsam Lösungen gefunden, die am Ende für mehr Zufriedenheit, eine bessere Gesundheit und eine größere Unternehmensbindung sorgen.“
Ein weiteres Motiv für mehr Betriebliche Gesundheitsförderung liefert der Fachkräftemangel. AOK-Verbandschefin Reimann: „Ständig fehlendes oder krankes Personal gefährdet den Unternehmenserfolg, das Ansehen und die Produktivität. Im Gesundheitswesen gilt dies umso mehr, als die Arbeitsbelastung und der Personalverschleiß etwa in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern enorm ist und sich dieser Umstand natürlich negativ auf die Versorgungsqualität auswirkt. Bei der präventiven Gesundheitsförderung und Stärkung Betrieblicher Gesundheitskompetenzen und -ressourcen hat die AOK viel Knowhow aufgebaut und bietet sich als natürliche Partnerin an.“ Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung nach innen und außen leben, hätten nicht nur in punkto Arbeitsbedingungen, sondern auch ökonomisch die besseren Karten – ein klarer Wettbewerbsvorteil.
Pandemie beeinträchtigt Körper und Psyche
Das WIdO liefert im Fehlzeiten-Report weitere Belege für die Pandemie-Effekte auf Gesundheit und Psyche der Erwerbstätigen. Beschäftige, die in den letzten drei Jahren im Rahmen von Querschnittsbefragungen zu den Belastungen Auskunft gegeben haben, berichten über vermehrte gesundheitliche Beschwerden: Dies betrifft sowohl körperliche Beschwerden wie Rücken-, Gelenkbeschwerden oder Kopfschmerzen, psychosomatischen Beschwerden wie Erschöpfung oder Schlafstörungen sowie emotionale Beschwerden wie Wut, Verärgerung oder Lustlosigkeit.
Auch die Fehlzeitenentwicklung der 15,6 Millionen AOK-versicherten Erwerbstätigen bis Juli 2022 legt zusätzliche Corona-Belastungen nahe: Der Krankenstand ist in den ersten Monaten dieses Jahres bis Juli deutlich angestiegen, insbesondere verursacht durch Atemwegserkrankungen und den wellenartigen Verlauf von COVID-19-Infektionen unter den AOK-versicherten Beschäftigten. Die COVID-19-Pandemie erreichte bei den Fehlzeiten ihren vorläufigen Höhepunkt im März 2022. Seit Beginn im Februar 2020 war mehr als jeder fünfte Beschäftigte (22,5 Prozent) von krankheitsbedingten Fehlzeiten im Zusammenhang mit COVID-19 betroffen. 3,8 Prozent dieser COVID-19-Betroffenen waren im weiteren Verlauf von Fehlzeiten wegen Long-COVID oder Post-COVID betroffen.