Das nennt man eine Kehrtwende: Das OLG Hamburg hat mit seiner Entscheidung vom 11.06.2009 (3 U 161/08) grünes Licht für den Vertrieb glucosamin- und chondroitinhaltiger Nahrungsergänzungsmittel gegeben – jedenfalls für solche, bei denen die Tagesdosis von Glucosamin unterhalb von 1.250 mg und von Chondroitin nicht über 1.200 mg pro Tag liegt.

Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Begründung der Entscheidung ist spektakulär: Das Ergebnis deshalb, da das OLG Hamburg – ebenso wie die in gesundheitsrechtlichen Streitigkeiten häufig angegangenen Kammern des Hamburger Landgerichts – noch bis vor kurzem glucosamin- und chondroitinsulfathaltigen Lebensmitteln/ Nahrungsergänzungsmitteln regelmäßig den „Kiss of Death“ erteilt haben, indem sie Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat als zulassungsbedürftige, aber nicht zugelassene Zusatzstoffe (bzw.: diesen gleichgestellte Stoffe) bewertet haben. Mit dieser Meinung standen die Hamburger Gerichte schon seit jeher im Widerspruch zur überwiegenden Meinung in der lebensmittelrechtlichen Literatur sowie zur Rechtsprechung anderer Gerichte, insbesondere auch des Bundesverwaltungsgerichts, die sich auf den Standpunkt stellten, dass die wertbestimmenden Zutaten eines Nahrungsergänzungsmittels niemals als Zusatzstoffe bewertet werden können. Die Hamburger Gerichte focht das bislang jedoch nicht an, mit der Folge, dass insbesondere Zulassungsinhaber glucosaminsulfathaltiger Arzneimittel rigoros vor den Hamburger Gerichten gegen unerwünschte „Billigkonkurrenz“ aus dem Nahrungsergänzungsmittelsektor praktisch mit Erfolgsgarantie vorgehen konnten.

Mindestens ebenso spektakulär ist auch die Begründung der jüngsten Entscheidung des OLG Hamburg: Das Gericht kehrt nämlich nicht nur seine bisherige Rechtsprechung stillschweigend unter den Teppich, sondern lässt zugleich die eigentlich entscheidende Frage offen, ob Glucosamin und Chondroitin üblicherweise als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet werden. Stattdessen zaubert das Gericht ein dogmatisches Kaninchen aus dem Hut und verweist darauf, dass das BfR für Glucosamin mit einer Tagesdosis unterhalb von 1.250 mg und Chondroitinsulfat mit einer Tagesdosis zwischen 800 und 1.200 mg zum Ergebnis kam, dass diese gesundheitlich unbedenklich seien. Dann – so das Hanseatische Oberlandesgericht in einem kühnen Rückschluss aus den Vorschriften der Lebensmittelbasisverordnung – müssten aber Lebensmittel mit solchen Zutaten auch nach deutschem Recht verkehrsfähig sein.

So sehr die Entscheidung des OLG im Ergebnis zu begrüßen ist, lehrt sie einmal mehr, dass selbst im Lebensmittelrecht ausgewiesene Gerichte immer wieder für Überraschungen gut sind. Für die Praxis bleibt festzuhalten: Das OLG Hamburg hat den Weg frei geräumt für den Vertrieb glucosamin- und chondroitinsulfathaltiger Nahrungsergänzungsmittel – zumindest im Grundsatz. Denn bei hoch dosierten Glucosamin-Präparaten droht weiterhin eine Einstufung als Funktionsarzneimittel. Und bei niedrig dosierten Präparaten ist nach wie vor fraglich, ob und inwieweit sie überhaupt – wenn nicht pharmakologisch – wirken. Das Thema Glucosamin bleibt also weiter spannend.

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