Die Sektion Zentral- und Osteuropa des „World Institute of Pain“ (Texas, USA) hat in einem Rundbrief ihre Mitglieder dazu aufgerufen, im Rahmen der Diagnostik von skelettösen Schmerzen zum Schutz von Patient und Mediziner auf Röntgenbilder zu verzichten. Das Schreiben der internationalen Fachorganisation, die interdisziplinäre Schmerzspezialisten wie Orthopäden, Anästhesisten, Radiologen und Chirurgen vereint, ging jetzt etwa 250 Mitglieder in Deutschland und Osteuropa zu und fasst das Ergebnis des letzten World Congress on Pain in New York zusammen.

Dr. Martin Marianowicz, Präsident der Sektion Zentral- und Osteuropa: „Röntgenbilder sind zur Diagnose von Schmerzen im Bereich des Skeletts und der Wirbelsäule gänzlich ungeeignet. Trotzdem werden in Deutschland, das mit 1,6 Aufnahmen pro Jahr und Kopf ohnehin Spitzenreiter in Sachen Strahlenbelastung ist, etwa 34 % aller Röntgenbilder genau hierfür erstellt. Patienten und Ärzte in Deutschland werden also völlig unnötig einem hohen Krebsrisiko ausgesetzt.“

Laut einer Studie von Forschern der University of Oxford (England) erkranken aufgrund von Röntgenuntersuchungen jährlich über 2.000 Bürger Deutschlands an Krebs. Marianowicz: „Das Gefährliche an Röntgenstrahlung ist, dass das Risiko nicht additiv zunimmt, sondern jede einzelne – also auch die erste – Aufnahme Zellveränderungen und damit Krebs auslösen kann. Deshalb gilt es, jede mögliche unnötige Aufnahme zu verhindern.“

Schmerz nicht nachweisbar
Über 3.000 internationale Experten des World Institute of Pain bestätigten beim New Yorker Kongress, dass Röntgenaufnahmen zur Diagnostik von Rücken-, Knochen- oder Gelenk-Leiden gänzlich ungeeignet sind. Wirbelsäulenspezialist Marianowicz, der in München selbst ein Zentrum für Orthopädie leitet: „Ein Röntgenbild wird bei 20 % aller 40-Jährigen und bei 80 % aller 70-Jährigen, die absolut schmerzfrei sind und deshalb keinerlei Behandlung bedürfen, schwerwiegende degenerative Veränderungen in Knochen- und Gelenkstruktur feststellen. Umgekehrt können Lebensgewohnheiten, Stress oder falsches Sitzen Schmerzen verursachen, die mit keinem Röntgenbild der Welt zu lokalisieren sind.“ Deshalb sollen auch die Ärzte in Deutschland und Osteuropa, wie in den USA schon seit
Jahren praktiziert, zur Schmerzdiagnostik andere Wege gehen.
Marianowicz: „Zur Lokalisierung von Schmerzen ist ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten meist die zielführendste Maßnahme. Ansonsten bieten sich heute – je nach Fall – modernere, verträgliche Bildgebungsverfahren wie Kernspintomographie an.“

Röntgenbilder eingebürgert
Warum Röntgenbilder zur Schmerzdiagnostik immer noch gang und gäbe sind, erklärt Marianowicz vor allem mit der durchgängigen Ausstattung deutscher Praxen mit entsprechenden Geräten: „Das Röntgen hat sich in Ländern wie Deutschland im Laufe der Jahrzehnte quasi als Allheilmittel eingebürgert – dass es zur Schmerzdiagnostik kaum ge-eignet ist, ist vielen Ärzten daher auch kaum bewusst. Hinzu kommt, dass strukturschwache Gegenden kaum über moderne bildgebende Verfahren verfügen. Letztendlich darf der Patient dabei aber nicht zu Schaden kommen.“

Patient kann sich wehren
Einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz zufolge ist die durchschnittliche Strahlenbelastung pro Jahr und Kopf mit 2 Millisievert in Deutschland vier Mal höher als in den USA und doppelt so hoch wie in Frankreich. Schutzlos ausgeliefert ist der Patient jedoch nicht. Marianowicz: „Generell sollte man, wenn man mit einem Röntgenbild konfrontiert wird, immer nachfragen, warum und ob das wirklich nötig ist. Ebenso sollten Aufnahmen dieser Art nur nach Rücksprache mit dem Arzt ausgeführt werden – und nicht prophylaktisch auf Empfehlung einer Arzthelferin oder eines Arzthelfers. Letztendlich sollte jedem Arzt und jedem Patienten bewusst sein, dass das beste Röntgenbild jenes ist, das nicht gemacht wurde.“

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